Die Teufelsbibel
gar erstaunliche Geschichte über ein Buch«, vollendete Melchior Khlesl.
»Wie passt du ins Bild?«, fragte Cyprian den Besucher. »Eminenz?«
Der Besucher kniff die Augen zusammen und maß Cyprian. Dieser blieb gelassen auf dem Tisch seines Onkels sitzen. Er deutete auf seinen eigenen rechten Mittelfinger. Der Besucher wandte den Blick ab und betrachtete den Ring mit dem violetten Stein, der auf seinem Mittelfinger prangte.
»Den hast du wohl abzunehmen vergessen, Eminenz«, sagte Cyprian.
Melchior Khlesl lächelte. »Cyprian, das ist Giovanni Antonio Facchinetti, Kardinal von Santissimi Quattro Coronati«, sagte er. »Wir teilen uns ein Lebensziel – das Testament des Teufels aus der Welt zu schaffen.«
Kardinal Facchinetti gab sich einen sichtlichen Ruck.
»Ich vertraue dir, mein Sohn«, sagte er. »Ich vertraue dir, weil mein Freund Melchior dir vertraut. Ansonsten habe ich wenig Grund, in dieser ganzen Sache überhaupt jemandem zu vertrauen. Ist dir klar, wonach wir suchen und mit welchen Kräften wir uns anlegen?«
»Das Böse, verkleidet als Gutes. Die Macht der Vernichtung, verkleidet als die Kraft des Wissens. Das Wort Luzifers. Die Bibel des Teufels.« Cyprian schnaubte. »Ein paar Ameisen machten sich auf, den Elefanten zu Fall zu bringen.«
»Einen sehr großen Elefanten«, sagte Kardinal Facchinetti, ohne zu lächeln. »Wir sprechen von einem Wissen, das es schon gegeben hat, als die Erde wüst und leer war; wir sprechen von den Worten, die die Schlange sprach, als sie Eva dazu verführte, den Apfel zu nehmen. Wir sprechen von dem Wissen, das die Ägypter dazu verführte, ihre Pharaonen neben Gott zu setzen; vom Sechsten und Siebten Buch Moses. Diese Worte versuchen stets in neuer Form, in die Welt zu kommen und die Menschheit zu verderben. Als die christlichen Missionare begannen, heidnische Kultstätten zu zerstören, taten die Besten unter ihnen dies nicht aus Fanatismus, sondern weil sie hofften, damit vielleicht aus Zufall die Teufelsbibel zu vernichten. Verstehst du, mein Sohn: dieses Wissen allein ist völlig machtlos; aber es hat die Eigenschaft, sich einen schwachen Menschen zu suchen, der es anzuwenden versucht, und da es zuallererst Macht verleiht, wird aus dem schwachen ein mächtiger Mensch; es überwältigt den, der es zu beherrschen glaubt, und narrt den, der glaubt, eszum Guten anwenden zu können. Der Teufel hat schon immer die Mitarbeit der Menschen gebraucht, um seine Saat zu säen, und mit dem, was wir sein Vermächtnis nennen, ist ihm der größte Schlag gelungen. In allen Werken des Satans riecht man den Schwefel und sieht man den Bocksfuß – in seinem Testament dagegen erkennt man auf den ersten Blick nur den hehren Glanz des Wissens.«
»Es gibt die Geschichte von Prometheus …«, sagte Cyprian.
Kardinal Facchinetti machte das Kreuzzeichen. »Natürlich gibt es die!«, sagte er dann. »Was glaubst du, was ihre Wurzeln sind? Aber tatsächlich darf Wissen niemals ein Geschenk sein, verstehst du das nicht? Ich bin sicher, Gott hat gewollt, dass seine Geschöpfe nach und nach an seiner Weisheit teilhaben, aber wir müssen es uns erarbeiten. Wir dürfen es nur dann haben, wenn wir dafür reif sind. Das ist es doch, was das Vermächtnis des Teufels zu einem solchen Gift macht – dass wir es als Geschenk empfinden und glauben, es zum Guten anwenden zu können, während es uns nur zerstören wird!«
»Ich frage mich, warum man das Buch nicht vernichtet hat, gleich als es geschrieben war.«
Kardinal Facchinetti lachte freudlos. »Weil es in seiner Natur liegt, dass man seinen Einfluss nicht sofort erkennt. In der ersten Zeit durfte man es sogar studieren. Kaiser Friedrich von Hohenstaufen war einer der eifrigsten Studenten – was glaubst du, warum man ihn das ›Staunen der Welt‹ nannte? Er war es allerdings auch, dem klar wurde, was es anrichten konnte. Man weiß mittlerweile, dass er überlegte, es zerstören zu lassen. Ich glaube, er hätte die Macht dazu besessen; viele glaubten damals und glauben noch heute, dass er einer der wenigen Auserwählten war, die die Krone des Heiligen Römischen Reichs trugen.«
»Warum hat er’s nicht getan?«
»Weil auch er nur ein Mensch war und weil die Macht des Teufels so stark ist! Er brachte es nicht übers Herz! Trotz all seiner Weisheit betrachtete auch er das Werk als ein Geschenkan die Menschheit. Du weißt, dass der eigentliche Text verschlüsselt worden ist?«
Cyprian nickte.
»Kaiser Friedrich ließ eine Kopie
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