Die Teufelsbibel
ihm nach oben.
»Soso«, sagte Pater Xavier. »Andere Sinne.«
»Was soll das, Pater, verdammte Scheiße?«
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagte Pater Xavier. »Möglichkeit eins: ich ziehe dir die lächerliche Binde vom Kopf, die du mit Beeren rot eingefärbt hast, damit man nicht sieht, wie dünn du sie an den Stellen gescheuert hast, durch die du hindurchsehen kannst; fange dann laut zu schreien an, rufe Gott als Zeugen an, dass du ein Betrüger bist, und halte deine Hand so lange unter meinem Fuß fest, bis die Stadtwachen kommen und dich abführen; und falls du eventuell mit dem Gedanken spielen solltest, mich mit der freien Hand angreifen zu wollen, so denk daran, dass deine Finger unter meinem Fuß vor lauter Gier nach der Münze gekrümmt waren und ich sie dir ganz einfach alle vier brechen kann, indem ich noch ein bisschen mehr Gewicht verlagere …«
Es knackte unter Pater Xaviers Sandale.
»Au!«, rief der Bettler. »Schon gut, schon gut, ich wähle die zweite Möglichkeit!«
»Was stimmt an deiner Geschichte mit dem Dienstbotendasein auf dem Hradschin?«
»Alles, außer dass ich nicht geblendet worden bin!«, jaulte der Bettler. »Hören Sie auf, Bruder, ich spiele Ihr Spiel doch mit.«
Pater Xavier hob den Fuß. Der Bettler zog die Hand an sich und hielt sie dicht vor die Binde. Die Finger sahen gequetscht aus. »O Mann, das tut WEH!«, stöhnte er.
»Du bist nicht ernsthaft verletzt, also hör auf zu jammern.«
»Gott segne Sie, Bruder, und wenn Ihnen jemals die Rübe von den Schultern fällt, dann hoffe ich, dass Er Ihnen in den Hals scheißt!«
»Wie komme ich in den Hradschin hinein?«
Das von der Binde halb unkenntlich gemachte Gesicht richtete sich überrascht auf ihn. Dann huschte ein Lächeln über die struppigen Wangen des Bettlers.
»Noch neu in der Stadt, aber schon haben Sie gehört, dass im Reich Seiner allerchristlichsten Majestät Hermes Trismegistos keine Kutten erwünscht sind?«
»Hermes Trismegistos?«
»Der Kaiser sitzt nicht nur auf seinem Thron – er sitzt auch auf dem Stuhl des Hexers. Wussten Sie das nicht, Pater? Der Kaiser besitzt alles, was es zur Magie braucht: Alraunen, getrocknete Föten, Steine mit teuflischen Zeichen, in Kristall eingeschlossene Dämonen, Bezoare, vom Himmel gefallene Steine. Er experimentiert mit Mumienstaub und Leichenfett und versucht, einen Homunkulus zu erschaffen; er studiert zusammen mit den jüdischen Rabbinern und steckt seine Nase öfter in deren Zaubersprüche als in die Bibel. Man nennt ihn deshalb Hermes Trismegistos, den dreifach Großen, –«
»– den Gott des Höllenfeuers, den Gott des Todes, den Gott der Fruchtbarkeit«, murmelte Pater Xavier.
»Angst, Pater?« Der Bettler grinste und verbarg gleichzeitig seine lädierte Hand an seinem Körper. Pater Xavier ignorierte ihn.
»Wie komme ich in den Hradschin hinein?«, wiederholte er.
»Der Kaiser duldet keine Kutten in seiner Nähe, wenn er deren Träger nicht persönlich kennt, und selbst die kommen oft tagelang nicht an ihn heran«, sagte der Bettler. »Haupteingang und Nebeneingänge werden von der Eskorte bewacht, die den Kaiser auch von Wien hierherbegleitet hat. Fremde werden abgewiesen.« Der Bettler kicherte. »Wenn Sie warten wollen, Pater, befinden Sie sich wenigstens in guter Gesellschaft – ausländische Botschafter, Reichsbarone, päpstliche Legaten, Abgesandte von Königen: auf dem Hradschin wartet alles.«
»Ich will nicht warten«, sagte Pater Xavier sanft. Das Grinsen des Bettlers erlosch.
»Sagen Sie, Sie wurden von den Doktores Maier und Ruland zu einem Disput gerufen. Maier hängt dem Rosenkreuzer-Unsinn an, und Ruland glaubt nur an Wasserbäder, Aderlässe und Schröpfköpfe, wenn es um das Heil geht – aber beide liefern sich oft Diskussionen mit gelehrten Kirchenvertretern, um ihre Theorien zu beweisen. Sie sehen wie ein gelehrter Mann aus, Pater. Versuchen Sie ein gescheites Gesicht zu machen, dann lässt man sie vielleicht durch.«
Pater Xavier bückte sich und hob die Münze auf. »Ich wähle auch die zweite Möglichkeit«, sagte er und schnippte die Münze in die Lederkappe. Dann richtete er sich auf und betrachtete das vermummte Gesicht unter sich. Er sah einem Schweißtropfen nach, der unter der Binde hervor und in den Hals seines Gesprächspartners rann. In die Morgenstille des Platzes drang der Schritt einer Gruppe von Stiefelsohlen.
»Gibt es noch irgendetwas, das du mir beinahe zu erzählen vergessen hättest und das dir
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