Die Teufelsbibel
eines Blickes zu würden. Reichsbaron Rozmberka blieb stehen, Wut und Erleichterung zugleich im runden Gesicht – vor allem aber war das vergebliche Bemühen zu erkennen, sich beides nicht anmerken zu lassen. Pater Xavier glitt an seine Seite.
»Euer Gnaden«, sagte er sanft, »wie geht es Ihnen? Ich bin froh, in dieser beunruhigenden Situation auf einen Mann wie Sie zu treffen.«
Rozmberka sah ihn mit leerem Blick an.
»Ich gehöre zur päpstlichen Gesandtschaft«, sagte Pater Xavier und machte eine bewusst vage Handbewegung. »Man hat mir die Ehre erwiesen, mich Ihnen vorzustellen. Wissen Sie nicht –?«
»Ah ja, doch, doch«, machte Rozmberka. »Doch, klar, kann mich erinnern. Äh – tut mir leid – äh –, dass Sie das hier miterleben mussten – äh – natürlich …«
»… natürlich muss seine Ehrwürden der päpstliche Nuntius nichts davon erfahren«, sagte Pater Xavier. »Was andererseits schade ist, da er genauso wie ich davon beeindruckt wäre, wie Sie diese Angelegenheit gemeistert haben.«
»Na ja«, machte Rozmberka und widerstand der Versuchung, einfältig zu grinsen.
»Der junge Mann«, sagte Pater Xavier und lächelte, »sagen Sie: wer ist das eigentlich? Und was ist das für eine Geschichte, mit der er Seine Majestät beruhigen kann?«
16
Der Mann sah aus wie Bischof Melchiors um vieles älterer Bruder; aber Cyprian kannte alle seine Onkel und wusste, dass der hagere Melchior nicht repräsentativ für das Erscheinungsbild der Männer der Familie Khlesl war, und so war ihm klar, dass die Ähnlichkeit der beiden Männer in der Arbeitsstube des Bischofs weniger genetischer als vielmehr seelischer Natur sein musste. Der Besucher war vielleicht noch ein wenig schmaler als Bischof Khlesl, und Schnauz- und Kinnbart zogen sein Gesicht noch mehr in die Länge. Er trug zerschlissene Reisekleidung. Der Bischof blickte auf, musterte Cyprian und hob eine Augenbraue. Cyprian registrierte eine weitere Ähnlichkeit zwischen den beiden Männern: ihre Gesichter waren grau, als versuchten sie einen Schock zu überwinden.
Cyprian schob die Pergamentrollen auf dem Arbeitstisch seines Onkels zur Seite und setzte sich halb auf die Tischplatte. Die Blicke des Besuchers gingen von Cyprian zu Melchior Khlesl und zurück.
»Mein Neffe ist vertrauenswürdig«, sagte der Bischof auf Lateinisch. Cyprian verbarg seine Überraschung, aber die Sprache war ihm so geläufig wie seine eigene.
»Wie viel weiß er?«, fragte der Besucher, ebenfalls auf Lateinisch.
»Alles, was ich selbst weiß.«
Es war klar, dass es nur um ein Thema gehen konnte. Melchior Khlesls weltliches Trachten kannte zwei Projekte: das Buch, das er das Vermächtnis des Bösen nannte, und die Krönung eines Mannes zum Kaiser, der besser als der derzeitige Amtsinhaber geeignet schien, den drohenden Zerfall der Christenheit abzuwenden. Was das zweite Projekt betraf, so spielte Cyprian darin keinerlei Rolle.
»Mein Großvater«, sagte Cyprian, »Bischof Melchiors und meines Vaters Vater, war Bäckermeister. Wir waren Protestanten. Mein Großvater hatte die Erlaubnis beantragt, den zum Tode verurteilten Protestanten eine letzte Mahlzeit zu stiften. Bischof Melchior als zweiter Sohn hatte den Auftrag, das Brot in das Malefizspitzbubenhaus zu bringen, wenn eine Hinrichtung bevorstand.«
»Ich war damals dreizehn Jahre alt«, sagte Melchior Khlesl. »Ich habe einige Dinge gesehen, die ich lieber nicht gesehen hätte. Wenn sich damals ein Jesuitenpater nicht meiner angenommen und mir erklärt hätte, dass all das Leid nötig war, um Seelen zu retten, wer weiß, was aus mir geworden wäre. Dieser Pater ist jetzt Rektor des Wiener Hauses der Societas Jesu. Er ist nicht mehr der Mann, der er war. Wenn ich ihm heute begegnen würde, würden mich keine zehn Pferde dazu bringen, zum wahren Glauben überzutreten.«
Beide Männer sahen Cyprian an. Dieser begriff, dass es eine Probe war, der man ihn unterzog, und dass sein Onkel diese Probe für unnötig hielt.
»Der Pater war damals gerade geweiht worden und hatte die ersten Prozesse gegen Ketzer in Gang gebracht. Er hatte auch das Todesurteil gegen einen alten Narren erwirkt, der als Alchimist aufgetreten war und die Familie eines Kaufmanns mit einem selbstgebrauten Lebenselixier versehentlich vergiftet hatte. Der Alte bat meinen Onkel am Abend seiner Verurteilung, bei ihm zu bleiben und ihm zu helfen, sich auf seine letzten Tage vorzubereiten –«
»– und er erzählte mir eine ganz und
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