Die Teufelsbibel
nichts zur Sache.
»Zwanzig Jahre eher, und Onkel Melchior würde mir ein altes Brot zustecken«, brummte er. Er zuckte zusammen, als der Riss in seiner Oberlippe zu bluten anfing. »Ich nehme nicht an, dass du an ein Stück Brot gedacht hast?«
»Wovon redest du?«
»Vergiss es.«
»Schau dich an, wie du ausschaust! Grün und blau! Mutter würde dich nicht erkennen, selbst wenn du bei ihr in der Stube sitzen würdest. Was hast du dir dabei gedacht?«
»Ja, was habe ich mir bloß dabei gedacht, mich von der Kärntnertorwache bewusstlos prügeln zu lassen?«
»Du hast Sebastian Wilfing von hinten angegriffen, als er mit zwei Freunden durch die Gasse spazierte und nichts Böses ahnte.«
Cyprian tupfte mit dem Finger das Blut von seiner Lippe. Er richtete sich vom strohbedeckten Boden in sitzende Stellung auf. Seine Rippen protestierten, und der Schnitt quer über seinen Leib flammte auf. Als er sich mit der anderen Hand abtasten wollte, klirrte eine Kette und hielt sein Handgelenk fest. Er grunzte.
»Wie spät ist es?«
»Was, wie spät ist es?«
»Wie viel Zeit ist vergangen, seit ich Sebastian Wilfing hinterrücks angegriffen habe?«
»Das war gestern«, sagte Cyprians Bruder ätzend. »Es ist jetzt früher Morgen, wenn du’s genau wissen willst. Eine ganze Weile vor der Terz.«
»Verdammt!«, sagte Cyprian. Er erstarrte.
»Ich hoffe, du hattest heute nicht etwas Wichtiges vor? Zum Beispiel mir mal wieder in der Backstube zu helfen? Du sitzt hier nämlich noch eine Weile ein. Wir befinden uns im Malefizspitzbubenhaus, du verdammter Idiot!«
»Ich weiß, wo wir sind. Wie kommst du hierher? Hat Onkel Melchior dich geschickt?«
»Onkel Melchior? Nein. Vor einer Stunde hat eine Wache bei uns an der Tür geklopft und uns mitgeteilt, dass man dich gestern verhaftet hat. Kannst du dir vorstellen, wie Mutter das aufgenommen hat?«
»Ich muss hier raus. Sag Onkel Melchior Bescheid.«
»Du weißt überhaupt nicht, was du angestellt hast, oder?«
»Hör zu, ich muss hier schnellstens raus. Die sollen jemanden zu Onkel Melchior schicken. Wenn’s sein muss, bestich einen von den Wächtern, Onkel Melchior wird dir das Geld wiedergeben. Wenn er selbst kommt und sein Wort gibt, behalten die mich nicht lange hier.« Cyprian zog an der Kette, die sein Handgelenk festhielt, und rasselte damit.
»Weißt du eigentlich, mit wem du dich angelegt hast?«
»Wenn du glaubst, dass ich den aufgeblasenen Sebastian und seine beiden Gockel wirklich überfallen habe, bist du ein noch größerer Idiot als ich.«
»Cyprian! Hör mir doch endlich mal zu.«
Cyprian stellte sein ärgerliches Bemühen, die Verankerung der Kette aus der Wand zu ziehen, ein und starrte zu seinem Bruder hoch. Dieser saß auf einem Schemel, über seinen eigenen Bauch gebeugt und die Hände zwischen den Knien pendelnd. Der heiße Geruch nach Backofen und frischem Brot ging von ihm aus und verdrängte die Kerkergerüche nach fauligem Stroh und den Pissepfützen in den Ecken. Die Ähnlichkeit seines Bruders mit ihrem Vater war überwältigend.
»Wie damals«, murmelte er, »wie mit Vater. Damals bist du auch der Wache in die Hände gelaufen, die jemand wegen deines Gebrülls alarmiert hatte. Und danach hat du genauso ausgesehen.« Er sah sich um. »Wahrscheinlich hast du sogar im gleichen Verlies gelegen wie jetzt.«
»Ich muss hier so schnell wie möglich raus. Hat jemand Onkel Melchior benachrichtigt oder nicht?«
»Du bist in ernsten Schwierigkeiten. Hier«, der Bruderstreckte den Finger aus, »du hast die Wunde an deinem Bauch aufgerissen. Sie blutet wieder. Wie hast du dir die geholt?«
»Einer von Sebastians Kumpels hat sie mir beigebracht, während ich ihn hinterrücks –« Cyprian winkte müde ab. »Was soll’s! Wo bleibt Onkel Melchior?«
»Die beiden Typen – Cyprian, du hast anscheinend tatsächlich keine Ahnung, wer sie sind.«
»Dann sag’s mir doch, verdammt noch mal!«, brauste Cyprian auf. »Wer sind sie? Die Oberarschkriecher am Hof von Kaiser Rudolf?«
»Nein, ihre Söhne.«
Die beiden jungen Männer starrten sich an. »Scheiße«, sagte Cyprian.
»Sebastian Wilfing hat den größten Teil des letzten Jahres in Prag verbracht, wo sein Vater und Niklas Wiegant zusammen ein Handelskontor unterhalten. Die beiden sind auf Besuch hier.«
»Du kennst dich ja ziemlich aus.«
»Was du getan hast, ist Gassengespräch.«
Cyprian ließ den Kopf hängen. »Ihre Aussage gegen meine, oder?«
Sein Bruder antwortete nicht. In die
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