Die Teufelsbibel
hinausquoll wie nach einer Explosion. Sein Vater war nicht ernsthaft verletzt gewesen, lediglich weiß bestäubt wie ein zum Backen fertiges Teigmännchen, und doch war er reglos zwischen den aufgeplatzten Säcken liegen geblieben.
Cyprian hatte gewusst, dass er niemals mehr hören würde, welche Last er für die Familie Khlesl war. Dass er noch im Alter seinem großen Bruder auf der Tasche liegen würde und wie undankbar ein zweiter Sohn war, der die Gnade nicht annahm, dass sein Vater ihm eine Ausbildung im Kloster finanzieren wollte, anstatt ihn einfach auf die Straße zu setzen, und wie hoffnungslos alles schiefging, was er in die Hände nahm; warum Gott der Herr nur einmal im Leben auf den Bäckermeister Khlesl herabgelächelt hatte, nämlich bei der Zeugung seines ersten Sohnes, und dann angefangen hatte auf ihn zu pissen, indem er ihm einen völlig unfähigen zweiten Sohn und danach einen Hühnerstall voller Töchter beschert hatte; dass der sonst so kluge Melchior Khlesl dämlich war, an seinen Neffen Cyprian auch nur einen Gedanken zu verschwenden und es vielleicht besser war, den Kontakt zwischen Onkel und Neffen zu unterbinden, damit der junge Bursche nicht noch etwa glaubte, er tauge zu irgendetwas, nur weil der Priester in der Familie sich mit ihm befasste; dass in diesem Zusammenhang auch gleich verboten werden sollte, dass die Tochter der hochnäsigen Wiegants von schräg gegenüber ständig mit dem total vertrottelten Sohn zusammensteckte; am Ende war er vielleicht noch blöd genug, ihr ein Kind zu machen, und was man dann von den piekfeinen Wiegants wohl zu hören bekommen würde und –. Alle weiteren Ausführungen hatten der kurze Flug des Bäckermeisters Khlesl durch die Backstube und seine spektakuläre Landung in den Mehlsäcken unterbunden.
Cyprian hatte die Hand gegen seinen eigenen Vater erhoben, und als er – vierzehnjährig und gebaut wie ein Feuerschlucker auf dem Gauklerpodium – auf die Kärntner Straße hinausstürzte, hatte er Euphorie über seine Tat empfunden. Dass es fraglich war, ob sein Vater ihn jemals wieder über die Schwelle lassen würde und wie er sein Leben in der Gosse fristen sollte, hatte ihn in diesen ersten Augenblicken nicht bekümmert. Die Angst hatte sich erst Minuten später eingestellt.
Die vier Männer scharten sich um Agnes und die Magd. Zusammen gingen sie weg, ein Vater, der mit Freunden unterwegs ist, zufällig auf seine Tochter trifft und ihr das Geleit nach Hause anträgt. Dass die Stimmung zwischen den beiden Frauen und den Männern kühler war als sonst bei derartigen Gelegenheiten üblich, würde niemandem auffallen. Cyprians Hochstimmung flaute ab. Was hatte Bischof Khlesl andeuten wollen mit seinen dunklen Bemerkungen über Agnes’ gefälschte Herkunft aus einem Wiener Findelhaus und ihrer Spur, die nach Prag wies? Nichts, dachte er, er hat nur versucht, dich zu manipulieren, damit du seinen Wünschen folgst. Aber wenn sein Onkel ihn auch oft manipuliert habenmochte in den vergangenen Jahren, er hatte ihn niemals angelogen. Wenn er sagte, Niklas Wiegant hätte mit Hilfe von Sebastian Wilfing Agnes’ wahre Herkunft verschleiert, dann entsprach dies der Wahrheit.
Die Gruppe der vier Männer und zwei Frauen war aus dem Blickfeld verschwunden. Cyprian wartete sicherheitshalber noch ein paar Minuten ab, dann machte er sich auf den Weg, um seine gemeinsame Flucht mit Agnes in die Neue Welt vorzubereiten.
»Als ob ich’s nicht gewusst hätte«, sagte eine Stimme hinter ihm, kaum dass er sich ein paar Dutzend Schritte vom Kärntnertor entfernt hatte und um eine Ecke gebogen war. Cyprian blieb stehen.
»Na so was«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Mein alter Freund. Hast du dich über den Neumarkt zurückgeschlichen?«
»Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede.«
Cyprian wandte sich um. Sebastian Wilfings Gesicht war dunkelrot; seine beiden Freunde lächelten.
»Ich hab dich letztes Mal gewarnt: lass meine Braut in Ruhe, Cyprian. Ich hab dir gesagt, dass es keine weitere Warnung mehr gibt.«
»Du warst nicht misszuverstehen«, bestätigte Cyprian.
Sebastian Wilfing trat einen Schritt heran. Cyprian konnte die Hitze spüren, die der gerechte Zorn des Mannes abstrahlte. »Offenbar war ich trotzdem nicht deutlich genug!«
»Doch, doch«, sagte Cyprian und musterte seinen Widersacher mit ausdrucksloser Miene. »Mir ist völlig klar geworden, dass du nicht möchtest, dass ich deine Braut belästige.«
»Na und?«, schnappte
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