Die Teufelsbibel
geschworen hätte, dass er sie sich niemals hatte entlocken lassen. Er dachte daran, dass manche Menschen der Schlüssel zu wichtigen Ereignissen waren und dass jeder Mensch einen Preis hatte. Pater Stefano zum Beispiel war darauf hereingefallen, dass Pater Xavier sich scheinbar von ihm hatte helfen lassen. Der Preis der meisten Menschen war erstaunlich gering.
Pater Xavier starrte in die Kerzenflamme hinein, bis dasKügelchen vollkommen verbrannt war. Dann leckte er sich die Finger und drückte den Docht aus. Die Dunkelheit fiel über seine schmale Figur, fiel in den Raum, kroch über alle Schatten und saugte sie in sich auf. In der Finsternis funkelten lediglich die Augen Pater Xaviers, als seien die Flammenbilder darin noch nicht erloschen.
20
Pater Hernando stellte sich auf ein langes Konklave ein. Im Zweiten Konzil von Lyon hatte Papst Gregor X. in seiner Bulle Ubi periculum festgelegt, dass der Beginn der Papstwahl so gelegt werden müsse, dass die Sedisvakanz mindestens fünfzehn Tage dauern musste und höchstens zwanzig dauern durfte. Das war vor mehr als dreihundert Jahren gewesen, und seitdem hatten Ubi periculum und ihre Nachfolgerinnen Licet , ne romani , Licet in constitutione , Periculis et detrimentis und wie sie alle hießen genügend Zeit gehabt, sich in die Mauern des Vatikans zu graben wie die Zehn Gebote in die Steintafeln Moses’. Diesmal hätte das Konklave nicht pünktlicher beginnen können. Am fünfzehnten Oktober war Papst Gregor heimgerufen worden; der Gerufene war der Aufforderung stöhnend und tagelang grünliches Erbrochenes von sich gebend gefolgt, eine Prozedur, der Pater Hernando von weiter Ferne und mit unterdrücktem Grauen gefolgt war, während der von ihm bestochene Dienstbote ihn über die Neuigkeiten auf dem Laufenden hielt, die er aus fünfter oder sechster Hand bekommen hatte. Pater Hernando fand es mehrfach nötig, Stunden allein im Gebet zu verbringen, um sich zu versichern, dass das, was er dem Heiligen Vater angetan hatte, hatte getan werden müssen, damit die Christenheit nicht in die Katastrophe steuerte.
Heute war der siebenundzwanzigste Oktober MDXCI, desJahres des Herrn 1591. Die letzten Atemzüge des Papstes waren bereits vom Hämmern der Zimmerleute akzentuiert worden, mit denen zwei Säle und Kapellen im Quirinalspalast durch Bretterwände unterteilt wurden. Jetzt standen das Volk und die minderen Ränge des Klerus, unter ihnen Pater Hernando, vor den Toren des Vatikans und gaben den einziehenden Kardinälen das Geleit. Der Nieselregen dämpfte die Lust des Pöbels am Grölen, Klatschen und Schreien ganz erheblich; soweit Pater Hernando feststellen konnte, hatte nur der Jubel für Girolamo Kardinal Simoncelli natürliche Ursachen. Der Kardinal nahm bereits an der siebten Papstwahl teil und galt selbst unter den abgebrühten Römern als besonderer Zeitgenosse. Das Geklatsche und Geplärre für Kardinal Facchinetti war hingegen gesteuert. Pater Hernando wusste es deshalb so gut, weil er selbst dahintersteckte. Kardinal de Gaetes Anweisungen diesbezüglich waren genau gewesen. Facchinetti war einer aus ihrem Kreis und sollte die Tiara bekommen – Pater Hernando war sicher, dass Kardinal de Gaete und mit ihm der ganze spanisch-italienische Zirkel, den er auf seine Seite gebracht hatte, entsprechend stimmen würde, und was noch an Überzeugungsarbeit zu leisten war, würden die Kardinäle innerhalb des Konklaves verrichten.
Kardinal Facchinetti war so grau und bedrückt durch das Spalier der Menschen geschlichen, dass man meinen konnte, er ginge zu seiner eigenen Beerdigung. Er hatte nur ein einziges Mal aufgesehen, als er an einem Mann im Bischofsornat vorbeigeschritten war, der ihm zugenickt und gelächelt hatte. Pater Hernando kannte den Bischof nicht, einen hageren Mann mit struppigem Bart.
Etliche Kardinäle fehlten; einige würden zu spät eintreffen, weil sie Schwierigkeiten auf der Reise bekommen hatten, einige, weil sie sich der quälenden Prozedur nicht stellen wollten, der immer einmal wieder ältliche Kardinäle zum Opfer fielen, die diskret hinten hinausgetragen wurden, währendvorne ein glücklicherer Kollege verkündete: Habemus Papam ! Natürlich fehlte auch Gaspar Kardinal de Quiroga wieder, der Großinquisitor. Allen seinen Bemühungen zum Trotz gab es immer noch lebende Ketzer in Spanien, deren Ausrottung Vorrang vor jeder Papstwahl hatte, im Namen Gottes und der Barmherzigkeit.
Der Dominikanerpater sah den von Alter, teurem Stoff und
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