Die Teufelshaube
Gürtelende durch die Schnalle, legte sich die Schlinge um den Hals und zog sie fest. Dann stieg sie auf den Schemel und versuchte, das freie Gürtelende an den Haken zu hängen, doch es gelang ihr nur, mit dem Lederrand an den Haken zu stoßen. Zwischen dem Loch zum Einhängen und dem Haken war eine Lücke. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen; noch immer blieb ein Abstand zwischen Loch und Haken – und sie war größer als Bertha.
»Er ist zu kurz«, sagte sie. »Der Gürtel ist zu kurz.«
Genau das hatte sie gestört. Der Anblick des baumelnden Körpers war im ersten Moment zu schockierend gewesen, doch ihr Verstand hatte es trotzdem registriert –
Berthas Füße hätten den Schemel gar nicht erreichen können, um ihn wegzutreten.
Sie begann zu würgen und versuchte hektisch, die Schnalle zu öffnen, ehe ungesehene Arme sie hochhoben und den Gürtel an den Haken hängten; sie bekam keine Luft mehr.
Jacques’ Hände griffen nach ihrem Hals, und sie wehrte sich, so wie Bertha sich gegen die Hände des Mörders gewehrt hatte. »Ist ja gut, Mistress«, sagte er. »Ruhig. Ganz ruhig.« Als er den Gürtel gelöst hatte, streckte er den Arm aus und strich ihr über den Rücken, wie einer verängstigten Katze. »Ganz ruhig. Ruhig.«
Peg starrte sie beide an, als wären sie verrückt geworden. Jacques nickte ihr zu, deutete auf den Schemel, und sie schnappte ihn sich erleichtert und ging wieder zu ihren Kühen.
Adelia blieb wie angewurzelt stehen, lauschte, als Pegs geschickte rissige Hände die Euterzitzen zusammendrückten und losließen, so dass die Milch mit der Gleichmäßigkeit eines langsamen Trommelwirbels in den Eimer schoss.
»Es war keine Sie, es war ein Er.«
Jacques’ Augen blickten sie fragend an. Er zumindest hatte verstanden, worum es ihr gegangen war.
»Nun denn«, sagte Adelia. »Zumindest kann Bertha jetzt in geweihter Erde begraben werden.«
»Kein Selbstmord?«
»Nein. Sie wurde ermordet.«
Wieder sah sie, wie sein junges Gesicht jäh altern konnte.
»Dakers«, sagte er.
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Kapitel neun
D ie Nonnen waren derselben Ansicht.
»Hab ich Euch richtig verstanden?«, sagte Mutter Edyve. »Ihr sagt, Mistress Dakers hat das arme Kind erhängt?«
Sie waren im Kapitelsaal, wo die Äbtissin sich mit ihren ältesten Nonnen beriet.
Sie hatten Adelia nicht gerade freudig begrüßt. Immerhin gab es wichtigere Dinge zu besprechen: Ihre Abtei war praktisch besetzt worden, und das von gefährlichen Söldnern; an ihrer Brücke baumelten Erhängte; falls sie weiter eingeschneit blieben, würden die Vorräte bald zur Neige gehen. Da waren sie weiß Gott nicht darauf erpicht, sich auch noch den seltsamen und beunruhigenden Bericht über einen Mord –
Mord?
– in ihrer Mitte anzuhören.
Dennoch, eines hatte Adelia richtig gemacht: Sie hatte Mansur mitgebracht. Dazu hatte Gyltha sie überredet. »Auf
dich
werden die nich hören«, hatte sie gesagt, »aber von dem alten Araber lassen sie sich vielleicht beeindrucken.« Und damit hatte sie recht behalten, wie Adelia nach ein paar Stunden Schlaf befand. Mansur war den Nonnen von ihrem Bischof empfohlen worden, er sah geheimnisvoll aus, er stand bei ihrer Infirmarin in hohem Ansehen. Vor allem war er ein Mann und genoss als solcher mehr Achtung als sie, auch wenn er Ausländer war.
Es war nicht leicht gewesen, noch vor Ende der Kapitelversammlung angehört zu werden, doch Adelia hatte sich geweigert, länger zu warten. »Es geht um eine Angelegenheit des Königs«, hatte sie gesagt. Und das stimmte auch. Jeder Mord fiel unter die königliche Gerichtsbarkeit, ganz gleich, wo er geschah.
Master Mansur, so erzählte sie ihnen, war darin geübt, Verbrechen aufzudecken, und ursprünglich von Henry II . nach England gerufen worden, um den Tod einiger Kinder in Cambridgeshire zu untersuchen – na ja, das hatte er ja auch in gewisser Weise –, und der Mörder war entlarvt worden.
Mansurs mangelnde Sprachkenntnisse hatte sie als Erklärung angeführt, dass sie für ihn übersetzen müsse. Adelia hatte die Nonnen angefleht, sich selbst die Spuren an Berthas Hals anzusehen, hatte ihnen die Beweise für den Mord vorgelegt … und regelrecht hören können, wie ihre Worte ebenso ins Leere gingen wie Berthas Finger, die nach der Kette gegriffen hatten, die sie strangulierte.
Sie beantwortete Mutter Edyves Frage: »Nein, Master Mansur klagt Dakers nicht an. Er sagt nur, dass
jemand
Bertha erhängt hat. Sie hat sich nicht selbst aufgehängt.«
Es war
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