Die Teufelshure
würde ich Sie dann von einem Fahrer nach Hause bringen lassen.«
John sah sie fragend an. In seinen Augen lag ein Ausdruck, in dem sich Bitte und Hoffnung die Waage hielten. Lilian spürte ihre Verwirrung.
»Oder wartet da draußen jemand auf Sie?«
»Nein«, erwiderte sie rasch – zu rasch. »Es wartet niemand auf mich – außer vielleicht mein Onkel Fred. Ich wohne vorübergehend bei ihm. Bei meiner Abfahrt habe ich ihm gesagt, dass ich nicht weiß, ob ich am Abend noch nach Hause zurückkomme oder in einem Hotel übernachte. Er sagte nur, er wolle mich nach meiner Rückkehr mit einem selbstgekochten Haggis überraschen.«
»Ich könnte Ihnen da vielleicht eine etwas abwechslungsreichere Menüfolge anbieten«, verkündete John schmunzelnd. »Ohne die Kochkünste Ihres Onkels schmälern zu wollen.«
»Ist schon in Ordnung«, meinte Lilian mit einem Lächeln. »Gefüllter Schafsmagen ist ohnehin nicht mein Lieblingsgericht. Ich muss Onkel Fred nur kurz anrufen, um ihm zu sagen, dass es vor morgen Mittag mit meiner Rückkehr nichts wird.«
Da ihr Mobiltelefon den Sturz nicht überstanden hatte, stellte John für Lilian vom Zimmertelefon aus eine Verbindung ins öffentliche Netz her. Anscheinend war das nur mit einer geheimen Codeziffer möglich. Als sie telefonierte, ging er zum Fenster und tat, als ob er hinausschauen würde. Fred stellte merkwürdigerweise keinerlei Fragen, als Lilian ihn über die plötzliche Änderung ihrer Pläne unterrichtete, wobei sie ihm nichts von dem Unfall erzählte. Er fragte nicht einmal, wo sie untergekommen oder ob ihre Suche nach dem Rosenkavalier erfolgreich gewesen war.
»Ist gut, Kind«, sagte er. »Wir sehen uns morgen.« Dann legte er auf.
John kehrte nicht mehr zur Konferenz zurück. Paddys Ermahnungen gingen ihm auf den Wecker. Was wusste der kauzige Ire schon von Einsamkeit? Über die Jahrhunderte hatte Paddy sich unzählige Mätressen gehalten, und nun vergnügte er sich in schöner Regelmäßigkeit mit Eliza Rollins, einer irischen Ärztin, die vor Jahren nach einem blutigen Untergrundkampf mit Cuninghames Lakaien zu ihrem Team gestoßen war. Damals hatten sie Micheal und Randolf im Kampf verloren, und Wilbur wäre um Haaresbreite erneut in die Fänge der Bruderschaft geraten, wenn Eliza ihm nicht geistesgegenwärtig einen Platz in ihrem Wagen angeboten hätte und mit ihm davongerast wäre. Später hatte sie Paddy kennengelernt. Eigentlich hatte der Ire den Auftrag gehabt, Eliza mit einer speziellen Injektion das Gedächtnis zu löschen, doch dann hatte er es nicht über sich gebracht, weil sie blond war und ihn mit ihrer üppigen Figur und den blauen Augen an Rosie erinnert hatte. Rosie, Paddys letzte große Liebe, war offiziell vor dreihundertfünfzig Jahren einem Fieber erlegen. In Wahrheit hatte Paddy sie bei einem heftigen Streit aus Wut und Verzweiflung gegen eine Wand geschleudert, woraufhin sie an Genickbruch gestorben war. Damals waren Johns Erkenntnisse über die Herstellung und Wirkungsweise von Eternity noch zu spärlich gewesen, um Rosie helfen zu können. Vielleicht wollte Paddy mit seiner Fürsorge und Liebe, die er Eliza entgegenbrachte, wiedergutmachen, was er durch Rosies Tod an Schuld auf sich geladen hatte.
John hatte den Koch angewiesen, ein leichtes Menü herzurichten und es im kleinen Rittersaal für zwei Personen bei Kerzenlicht zu servieren. Normalerweise aß er in einer hochmodernen Kantine. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt allein mit einer Frau zu Abend gegessen hatte. Offiziell hatte er nur verlauten lassen, dass er den Rest des Abends für niemand zu sprechen sei und sich in seine Privatgemächer zurückgezogen habe, wo er vor morgen Mittag nicht gestört werden wolle.
Der einzige Mensch, der jederzeit Zugang zu Johns Privaträumen hatte, war Wilbur, sein Ziehsohn, der aussah wie achtzehn, aber in Wahrheit auch schon über dreihundertfünfzig Jahre auf dieser Erde weilte. Der Junge war erst zehn Jahre alt gewesen, als John ihn zu sich genommen hatte. Obwohl John selbst nicht älter als dreißig wirkte, war er noch immer wie ein Vater für ihn.
»Dein Besuchsverbot hat zu unschönen Gerüchten geführt«, erklärte Wilbur mit einem Grinsen, während er den Kopf in Johns Boudoir steckte. »Paddy hat vor versammelter Mannschaft behauptet, dass du unsere Unfallpatientin nur hier übernachten lässt, weil du sie vögeln willst.«
John hatte geduscht und wandte sich, nur mit einem Handtuch bekleidet, seinem
Weitere Kostenlose Bücher