Die Teufelsrose
feinen englischen Schulen und dann die Sorbonne; ein Jahr in der erstickenden Universitätsatmosphäre hatte ihr gereicht. Ach ja, nicht zu vergessen die Affären und der kurze Drogenflirt.
Was sie gerettet hatte, war die
Kamera. Seit ihrer ersten Ko dak, mit acht Jahren, hatte sie eine
Schwäche für Fotografie gehabt, die sich im Lauf der Jahre zu
»Anne-Maries kleinem Hobby« entwickelte, wie ihr
Großvater sich ausdrückte.
Nach der Sorbonne hatte sie mehr daraus gemacht. Sie hatte
sechs Monate bei einem der besten Pariser Modefotografen gelernt, war dann als festangestellte Fotografin zu Paris-Match gegangen.
In nur einem Jahr hatte sie sich einen Namen ge macht, aber es war
nicht genug gewesen, nicht annähernd genug, und als sie darum
gebeten hatte, nach Vietnam ge schickt zu werden, hatte man sie
ausgelacht.
Also hatte sie gekündigt, um
frei zu arbeiten, und hatte ihren Großvater in einer langen,
hartnäckigen Diskussion schließlich soweit gebracht, seinen
enormen politischen Einfluß geltend zu machen, um ihr vom
Verteidigungsministerium die notwendi gen Papiere zu verschaffen. An
jenem Tag hatte eine neue Anne-Marie vor ihm gestanden: ein
Mädchen von rücksichtslo ser Entschlossenheit, das ihn
überraschte. Ihn wider Willen mit Bewunderung erfüllte. Sechs
Monate, hatte er gesagt. Höch stens sechs Monate, und sie hatte es
versprochen, aber schon damals hatte sie ohne jeden Zweifel
gewußt, daß sie das Versprechen nicht halten würde.
Sie hielt es nicht, denn als die Zeit
um war, war es zu spät, um kehrtzumachen. Sie war berühmt,
ihre Fotos erschienen in den großen europäischen und
amerikanischen Zeitschriften. Time, Paris-Match, Life, alle
hatten diese verrückte französi sche Göre, die in Katum
mit den Paras abgesprungen war, unter Exklusivvertrag nehmen wollen.
Das Mädchen, dem kein Job zu strapaziös oder zu
gefährlich war.
Was sie auch gesucht haben mochte,
sie fand jedenfalls her aus, was der Krieg war – zumindest in
Vietnam. Keine Bilder buchschlachten. Keine Fanfarenstöße,
kein fernes Trommelrühren, das die Herzen schneller schlagen
ließ. Son dern blutige Straßenkämpfe bei der
Tet-Offensive in Saigon; die Sümpfe im Mekong-Delta, die Dschungel
im zentralen Hochland. Die Geschwüre an den Beinen, die sich wie
Säure durch den Knochen fraßen und Narben
hinterließen, die nie verschwinden würden.
Und so war sie hierher gekommen, in
diesen Hubschrauber. Den ganzen Morgen hatte sie bei strömendem
Regen in Pleikic auf eine Transportmöglichkeit nach Din To
gewartet, bis der Sanitätstrupp sie auflas. Gott, war sie
müde, müde wie noch nie in ihrem Leben. Vielleicht habe ich
das Ende von etwas er reicht, dachte sie. Sie runzelte die Stirn. Und
dann stieß der Zugführer einen lauten Ruf aus.
Er hing in der offenen Tür und
zeigte nach Osten, wo eben, ein paar hundert Meter weiter, eine Flamme
in den Himmel geschossen war. Der Hubschrauber schwenkte in die
Richtung und ging tiefer, gefolgt von dem Huey Cobra.
Anne-Marie war aufgesprungen und
stand nun gebückt ne ben dem Zugführer, spähte hinunter.
Am Ende eines Reisfelds lag ein brennendes Hubschrauberwrack, daneben
erkannte sie mehrere reglose Körper. Der Mann, der auf dem Damm
stand und verzweifelt winkte, trug eine amerikanische Uniform.
Der Rettungshubschrauber ging tiefer,
der Geleithelikopter kreiste über ihnen, und Anne-Marie steckte
ein Objektiv auf eine Nikon, lehnte sich an die Schulter des
Zugführers, um nicht hinauszufallen, und fing an zu knipsen.
Er wandte den Kopf und lächelte
ihr zu, und als sie dann nur noch 30 Meter hoch waren, wurde sie sich,
seltsam gelassen, bewußt, daß das Gesicht, das sie im
Sucher hatte, vietname sisch war – nicht amerikanisch. Ein paar
schwere Maschinen gewehre eröffneten aus dem etwa 50 Meter
entfernten Dschungel das Feuer, und aus dieser Entfernung konnten sie
das Ziel nicht verfehlen.
Der Zugführer, der in der
offenen Tür stand, hatte keine Chance. Kugeln schlugen in ihn
hinein und warfen ihn nach hinten, gegen Anne-Marie, die auf die
Lazarettkisten gedrückt wurde. Sie schob den Toten zur Seite und
ging auf ein Knie. Der junge Sani kauerte in der anderen Ecke, hielt
einen bluti gen Arm, und als eine neue MG-Garbe das Cockpit durchsieb
te, hörte sie den Piloten aufschreien.
Sie taumelte nach vorn, hielt sich an
einer Verstrebung fest; im selben Augenblick ruckte der Helikopter
heftig hoch, und sie stürzte durch die
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