Die Tiefen deines Herzens
Meinung, dass das alles nur Show sei, weil du dich insgeheim ein wenig in ihn
verguckt
hättest«, räumte sie ein.
»Das
hast du zu ihm gesagt?« Ich war fassungslos. Daran änderte auch ihr bekümmerter Gesichtsausdruck nichts. Wie konnte sie nur?!
»Es tut mir leid, wenn ich dir damit Schwierigkeiten bereitet habe«, murmelte sie. »Jamie hat auch gemeint, ich sollte mich lieber raushalten. Aber …«
»Wie jetzt, Jamie weiß auch davon?«, fiel ich ihr ins Wort.
»Er war ja bei dem Gespräch dabei«, gab sie kleinlaut zu.
Ich verschränkte empört die Arme vor der Brust. »Wie darf ich mir das denn vorstellen? Da habt ihr drei nett zusammengesessen und euch mächtig über die angeblich unsterblich verliebte Zicke amüsiert, oder was?!«
Clara schüttelte wild den Kopf. »Nein, nein, wir haben über Marcs Entschluss gesprochen, den Boxsport aufzugeben, und ganz nebenbei meinte er dann, dass er sich dein Verhalten ihm gegenüber nicht erklären könnte. Er war so gefrustet, noch immer so fertig wegen …«
»Verstehe«, platzte ich dazwischen. »Und weil der
arme
Marc
am Boden zerstört war, hast du gedacht, du könntest ihn mit so einer Schwachsinnsbehauptung wieder aufbauen. Na super!«
Clara starrte auf ihre umwickelten Hände. »Nein, so war das nicht, Leni. Ich habe ihm klipp und klar gesagt, dass er die Finger von dir lassen soll. Das musst du mir glauben.«
»Nur zur Info, wo war ich eigentlich bei eurem netten Pläuschchen?«, stichelte ich weiter.
»Es war kein nettes Pläuschchen«, erwiderte Clara, schwieg dann aber.
»So, war es das nicht? Was hat euer entzückender
Marciboy
denn für ein schrecklich schlimmes Problem, dass du ihn auch noch in Schutz nehmen musst? Hat er sich beim Boxen die Nase gebrochen?« Ich winkte ab. »Blödsinn, seine Nase ist ja
sooo
schön. Dann hat er wohl einem anderen den Zinken verbogen und schämt sich jetzt deswegen, was?!«
Clara blickte wieder auf, und der Ausdruck in ihren Augen sagte mir, dass ich gerade weit übers Ziel hinausgeschossen war. Obwohl ich nicht verstand, was ich Schlimmes gesagt hatte, ahnte ich doch, dass ich sie verletzt hatte.
»Marc hat jemanden getötet, Leni. Damit kommt er nicht klar«, sagte sie mit fast tonloser Stimme.
Mein Rücken versteifte sich. »Getötet? Wie … wie das denn?«, krächzte ich fassungslos.
Da bemerkte ich, dass sie weinte. Stumm rannen ihr die Tränen über die Wangen und ich biss mir auf die Lippen. Ich wollte etwas sagen, sie trösten. Sie in den Arm nehmen und ihr beruhigend über den Rücken streichen, aber vor allem musste ich erfahren, was Marc so weit gebracht hatte, zum Mörder zu werden.
»Clara«, sagte ich vorsichtig und legte meine Hand auf ihre Schulter. »Wie ist das passiert?«
Clara schluckte schwer. »Es … war ein Unfall«, begann sie stockend zu erzählen. »Marcs Sparringpartner ist nach einem Schlag von ihm unglücklich gestürzt. Er war sofort tot. Marc war vollkommen unschuldig daran, aber seitdem ist sein Leben komplett aus den Fugen geraten. Er fühlt sich schuldig, hat nie wieder geboxt, weil er …« Sie brach ab und es überkam mich heiß und kalt, so sehr hatten mich ihre Worte entsetzt.
»Das ist ja schrecklich«, war das Einzige, was ich hervorbringen konnte.
Clara blickte starr vor sich hin. »Henry war Marcs bester Freund.«
»Henry? Ist das der … Tote?«
Clara nickte. »Die beiden sind zusammen aufgewachsen. Henry war weniger talentiert als Marc, aber er war glücklich und zufrieden damit, Marcs Sparringpartner zu sein. Marc hat schon so viel Mist hinter sich. Sein Vater war ein unglaublich jähzorniger Mann und seine Mutter ist viel zu früh gestorben … Der Boxsport hat ihm unendlich gutgetan. Und dann passiert so etwas …«
»Schrecklich«, wiederholte ich noch einmal. »Aber wenn es doch ein Unfall war …«
»Er denkt, er sei wie sein Vater.«
»Und das bedeutet?«
Sie sog die Luft scharf zwischen den Zähnen ein. »Er hält sich für eine Gefahr. Meint, dass er irgendwann ebenso krankhaft brutal wie sein Vater enden wird. Schon deshalb will er nicht mehr in den Boxring steigen. Vielleicht ist das auch gut, aber wenn er wenigstens eine Perspektive …« Sie brach ab, und ich spürte, dass sie nicht weiter darüber reden wollte. Obwohl mich die Neugier fast zerfraß, drängte ich sie nicht.
Eine ganze Weile sprach keiner von uns ein Wort. Schließlich begann Clara, die Handtücher von ihren Händen zu wickeln. »Sieht ja gar nicht so schlimm aus«,
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