Die Tiefen deines Herzens
dermaßen hinterhältig in meinem Kopf wider, dass ich aufgab.
Mühselig richtete ich mich auf und warf einen verkniffenen Blick auf die Uhr.
Halb zehn! Unfassbar! Ich war doch eben erst eingeschlafen.
»Verdammt«, fluchte ich und schleppte mich zur Tür. »Ich komme ja schon.«
Mit jedem hätte ich gerechnet – selbst mit Felix, der plötzlich seine Meinung geändert hatte und nun doch nach Usedom gekommen war, um mich zu überraschen. Marc hatte ich bestimmt nicht auf dem Zettel!
Aber der Typ, der groß und stark wie ein Baum vor mir stand und mich mit einer Mischung aus Spott und Verlegenheit angrinste, war eindeutig Marc.
»Wow, du siehst ja echt fertig aus!«
»Danke fürs Kompliment, Blödmann!«, knurrte ich.
Um Marcs Mundwinkel herum zuckte es ein wenig. Und als er die Hand hob, befürchtete ich für einen Moment, dass mein Gesicht gleich mit seiner Faust Bekanntschaft machen würde, doch er berührte nur vorsichtig mit den Fingerspitzen mein Haar. Dennoch wich ich erschrocken zurück. Der wird doch nicht …?
»Sorry.« Er ließ die Hand schnell wieder sinken. »Ich wollte dir nicht zu nahe treten.«
Ich schloss kurz die Augen und hielt mir mit der linken Hand die Stirn, während ich mit der rechten den Türgriff umklammerte.
»Was willst du?«, fragte ich genervt. »Mich weiter beleidigen? Dann komm bitte später wieder, wenn ich eine Kopfschmerztablette genommen habe und in der Lage bin, meine Ohren auf Durchzug zu stellen.«
Marc schaute mich mit ausdrucksloser Miene an.
»Oder noch besser, bleib weg! Am besten für immer!«, fügte ich sicherheitshalber hinzu.
Aber den Gefallen wollte er mir nicht tun. Ganz im Gegenteil.
»Leni, ich möchte mich bei dir entschuldigen«, sagte er mit einer Stimme, die mir völlig fremd war. Sie klang freundlich, warm und auch auf die eine oder andere Weise aufrichtig. Sie konnte unmöglich aus Marcs Mund gekommen sein. Meine Kopfschmerzen mussten Halluzinationen bei mir verursachen. Oder so eine Art akustische Sinnestäuschung.
»Klar doch«, erwiderte ich und verzog mein Gesicht. »Und ich bin Jennifer Lopez.«
Er schmunzelte – kein bisschen zynisch oder überheblich, einfach nur nett. »Mir soll’s recht sein. Obwohl ich dich eindeutig attraktiver finde.«
Okay, ich musste vergangene Nacht auf den Kopf gefallen sein. Eine andere Erklärung konnte es nicht geben. Marc McCourtney konnte nicht nett lächelnd vor mir stehen und sich erst bei mir entschuldigen und mir dann auch noch ein Kompliment machen. UNMÖGLICH!
»Würdest du jetzt bitte wieder abhauen?«, stöhnte ich und war schon dabei, die Tür zuzuschieben.
Marc schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Erst musst du mir zuhören.«
Ich zuckte ratlos mit den Schultern. Es kam selten vor, dass ich so vollkommen ohne Plan war. »Ich kapiere absolut nicht, was du von mir willst. Was soll das Ganze hier? Was für eine Show ziehst du jetzt wieder mit mir ab?«
»Keine Show, Leni. Ich meine es aufrichtig«, erwiderte er leise. »Ich mag dich. Vielleicht habe ich mich deshalb wie ein Vollidiot benommen. Es tut mir wirklich leid.«
Ich schluckte schwer und wollte etwas sagen. Aber mit einem Mal war es, als hätte ich niemals ein Hirn besessen. Und einen Mund, der sprechen konnte, schon mal gar nicht. Es gab in meinem Innern nur so ein verrücktes Herz, und obwohl ich mir die größte Mühe gab, ruhig und gleichmäßig zu atmen, dröhnte es wie ein Presslufthammer in meiner Brust.
»Fuck!«
Marcs Stimme war nur ein heiseres Flüstern. Dann zog er mich kurz in seine Arme, und ehe ich ihn von mir schubsen oder anschreien konnte, war seine Umarmung bereits wieder Geschichte, und er hatte auf dem Absatz kehrtgemacht.
Langsam schloss ich die Tür hinter ihm und blieb so lange mit dem Rücken dagegengelehnt, bis seine Schritte auf dem Flur verklungen waren. Noch immer pochte mein Herz wild und mein Kopf schmerzte. Doch der kurze Augenblick in Marcs Armen hatte einen Strudel von Gefühlen in mir in Gang gesetzt.
Nicht für Marc, sondern für meinen allerbesten Freund, den ich so wahnsinnig vermisste.
Felix.
Nur seinetwegen jagte ein Stich durch mein Herz.
So viel Gefühl.
So viel Sehnsucht.
Nach Felix.
Nicht nach Marc.
Anders konnte es nicht sein.
D enk mit dem Herzen.
(Sprichwort der Hopi)
8
Für den Rest des Tages bekam ich Marc nicht mehr zu Gesicht. Keine Ahnung, ob er sich vor Scham in irgendeine dunkle Ecke verkrochen hatte oder befürchtete, im Falle eines Zusammentreffens einem
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