Die Tiefen deines Herzens
murmelte ich schlaftrunken. Ich brauchte einen Moment, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und um zu begreifen, wo ich war.
Ich lag in meinem Bett in der Pension. Marc neben mir. Er hatte sich auf die Seite gedreht und seinen Kopf auf dem Ellbogen abgestützt. Mit seinem Zeigefinger zeichnete er sacht die Konturen meines Gesichts nach.
»Entschuldige«, flüsterte er, »ich wollte dich nicht aufwecken.«
Ich hätte gern etwas erwidert, ihn gefragt, wie lange er mich schon beim Schlafen beobachtet hatte und warum er so traurig klang. Doch bevor auch nur ein Laut über meine Lippen kommen konnte, küsste er mich. Ganz sanft und unendlich zärtlich.
Ich seufzte schwer und glücklich, als er sich schließlich wieder von mir löste.
»Ich liebe dich, schöne Leni«, sagte er, »du ahnst gar nicht wie sehr …«
Helles Morgenlicht weckte mich. Ich blinzelte und bedeckte schnell meine Augen, bevor ich mit der freien Hand nach Marc tastete. Aber der Platz neben mir war leer.
Bestimmt ist er schon in sein Zimmer zurückgeschlichen, überlegte ich, und dennoch war da plötzlich so ein seltsames Gefühl, etwas Beunruhigendes, das ich nicht richtig einzuordnen wusste.
Ich schwang mich aus dem Bett, schlüpfte in meine Klamotten und trat in den Flur. Rasch huschte ich zu Marcs Zimmertür und klopfte leicht dagegen.
»Marc?«, flüsterte ich. Aber nichts rührte sich.
»Marc?«, fragte ich nun etwas lauter und klopfte energischer gegen die Tür.
Eigentlich war mir nach Zähneputzen und einer ausgiebigen Dusche zumute, aber das Rumoren in meinem Magen ließ mich am Badezimmer vorbei die Treppe hinuntergehen.
Clara saß an der Stirnseite des großen Küchentischs, den Kopf in die Hände gestützt, und weinte leise.
»Was ist passiert?«, fragte ich alarmiert und mein Nacken versteifte sich.
Sie sah mich an, die Augen verquollen, rote Flecken im Gesicht.
»Marc, er …«
»Was?«, fiel ich ihr ins Wort.
»Er ist abgereist. Ganz früh heute Morgen.«
Mir wurde schwindelig. »Wie abgereist? Wohin denn?«
»England«, sagte sie nur.
Tränen schossen mir in die Augen. Mühsam versuchte ich, sie hinunterzuschlucken. Ich durfte mir vor Clara nicht anmerken lassen, wie schrecklich mich ihre Worte trafen. Schnell stützte ich mich auf einer der Stuhllehnen ab, weil mir jemand plötzlich den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Weil ich das Gefühl hatte zu fallen, immer und immer weiter.
Fassungslos schüttelte ich den Kopf. »Aber … aber … warum?«
Clara vergrub das Gesicht wieder in den Händen. »Ich weiß es nicht. Jamie und ich dachten, er fühlt sich hier wohl. In den letzten Tagen war er uns so verändert, irgendwie glücklich vorgekommen und dann kritzelt er einfach nur ein paar Zeilen auf einen Zettel, dass er zurück nach England ist und dort auch bleiben wird.«
Sie hob hilflos die Schultern, viel zu sehr mit ihrem eigenen Kummer beschäftigt, als dass sie meine Tränen bemerken konnte.
Ein stummes Wimmern drang aus meiner Kehle. Und ich fiel und fiel und fiel, immer weiter, immer tiefer, bis es nur noch dunkel um mich herum war.
E s gibt diesen einen Stern, der nur dir und mir gehört.
Dort werde ich auf dich warten.
15
Jemand hielt mir von hinten die Augen zu. »Wie immer zu spät«, raunte er mir ins Ohr. Ich drehte mich um und schaute in Felix’ grinsendes Gesicht. Das Ziehen in meinem Bauch wurde stärker, doch zugleich spürte ich, dass es guttat, in seine blauen Augen zu sehen. Trotz allem war es ein schönes, ein vertrautes Gefühl.
»Es tut mir leid. Meine Mutter wollte unbedingt noch etwas mit mir besprechen. Du kennst sie ja«, erklärte ich und machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Tja, die lieben Eltern«, sagte er mitfühlend, während er mich mit sich ins Kino zog.
Im Foyer roch es nach Popcorn, heiß und süß, und die großen Filmplakate an den Wänden weckten wider Erwarten Vorfreude in mir.
Als Felix mir vor knapp einer Stunde vorgeschlagen hatte, mit ihm ins Kino zu gehen, hatte ich mir nicht vorstellen können, dass ich auf die Bilder gespannt sein würde, die in der Dunkelheit auf mich warteten. Denn die Bilder , die in meinem Kopf lauerten, waren noch viel zu präsent, zu bewegend und auch zu quälend, als dass ich mich auf irgendwelche anderen einlassen könnte, hatte ich befürchtet.
Doch jetzt fiel es mir plötzlich leicht. Ich war mit Felix im Kino, er suchte meine Hand, und als er sie fand, da entzog ich sie ihm nicht, obwohl ich spürte,
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