Die Tiefen deines Herzens
mit ihrer bekloppten Idee und diesem völlig überflüssigen Anruf bei dir, und das alles, nachdem aus uns gerade erst ein Paar geworden war.«
»Felix, es ist ganz anders …«, wollte ich ihn unterbrechen, aber er ließ sich nicht beirren. »Warte, bitte lass mich erst ausreden. «
Ich nickte. Was konnte ich sonst auch tun.
»Und zur Krönung mein übereilter und völlig hirnrissiger Vorschlag«, er stockte, schüttelte über sich selbst den Kopf, »dass du auf der Stelle mit mir nach Hamburg kommen sollst. Wenn einem hier etwas leidtun müsste, dann mir und bestimmt nicht dir. Ich meine, was solltest du auch denken, wenn du mich tagelang nicht erreichen kannst, nachdem ich dir mal eben so eine bedeutende Frage am Telefon gestellt habe?«
Felix, lieber, wunderbarer Felix, du glaubst gar nicht, wie mies ich mir gerade vorkomme.
Er hatte sich so in Fahrt geredet, dass er kurz Luft holen musste. Und diesen Moment hätte ich nutzen müssen. Aber ich ließ ihn verstreichen – einfach vorbeiziehen – und ahnte, dass es nun noch schwerer werden würde, ihm die Wahrheit zu sagen. Vielleicht sogar unmöglich.
Felix brachte mich bis vor die Haustür, aber mit reinkommen wollte er nicht, und ich war erleichtert darüber.
»Grüß deine Eltern von mir«, sagte er zum Abschied und gab mir einen sanften Kuss auf die Wange.
Ich nickte, doch irgendetwas in meinem Blick schien ihn dazu zu veranlassen, das Thema von vorhin erneut anzuschneiden. »Oder gibt es noch irgendetwas, das du mir sagen möchtest? Du bist so anders … so still …«
Nervös kaute ich auf meinem Daumennagel herum, versuchte, meinen ganzen Mut zusammenzubringen … aber ich kniff erneut.
»Ich bin nur müde. Und dann steckt mir der Film ziemlich in den Knochen«, sagte ich.
Felix sah mich nachdenklich an. Schließlich nickte er. »Geht mir genauso. Schlaf gut, Leni.«
Er ging und ich hätte mich ohrfeigen können für so viel Feigheit.
Im Flur brannte kein Licht, doch aus dem Wohnzimmer drangen Stimmen zu mir herüber. Tief seufzend hängte ich meine Strickjacke an die Garderobe. Ich musste meinen Eltern wohl kurz sagen, dass ich zurück war.
Doch gerade, als sich meine Hand um die Türklinke legte, wurde es laut im Wohnzimmer.
»Ich hätte es besser wissen müssen!«, schrie meine Mutter. »Sie ändert sich nie! Oh, wie mich das alles ankotzt!«
Ich rührte mich nicht von der Stelle, wagte kaum noch zu atmen. Ich hatte meine Eltern noch nie streiten gehört. Sie hatten Meinungsverschiedenheiten, die sie in aller Ruhe und sehr sachlich ausdiskutierten, aber niemals wurden sie laut. Und meine Mutter sagte auch normalerweise nicht ankotzen . Das gehörte nicht in ihr Vokabular. Never!
»Wie kann man nur so sein?«, keifte die Stimme, die nach meiner Mutter klang und dennoch nicht zu ihr passen wollte.
Ich hätte einfach ins Zimmer treten können und fragen, was denn nur los sei. Doch da war etwas in ihrem Tonfall, das mich mein linkes Ohr fest an die Tür pressen ließ.
»Gernot, verdammt noch mal, so viele Jahre hat sie nichts von sich hören lassen! Hat in ihrem fernen England gehockt und sich einen feuchten Kehricht darum geschert, wie es mir damit geht …«
Meine Mutter schluchzte auf. Jetzt schrillten wirklich sämtliche Alarmglocken in mir. Es ging um Clara! Meine Mutter hatte sich schon oft über ihre Schwester aufgeregt. Leise, sehr bitter und stets zynisch, aber nie laut, und dass sie jemals wegen Clara geweint hätte, daran konnte ich mich auch nicht erinnern. Es musste etwas Schlimmes passiert sein.
Nun sagte mein Vater auch etwas, aber leider zu leise, um es zu verstehen.
Dafür überschlug sich die Stimme meiner Mutter fast vor Aufregung. »Weißt du, es ist die eine Sache, sich zu verdrücken. Aber dann so tun, als ob man sich geändert hätte, endlich bereit sei, Verantwortung zu übernehmen, um dann unsere Tochter … Nein, Gernot, du musst etwas unternehmen. Verstehst du?!«
Ich war wie erstarrt. Sprach sie etwa von mir?
»Wie sie sich eben am Telefon wieder herausgeredet hat … Als ob sie nicht ganz genau gewusst hätte, dass sich dieser völlig inakzeptable Engländer an unsere minderjährige Tochter herangemacht hat«, regte sie sich weiter auf. »In ihrem Haus!«
Inakzeptabler Engländer?
Jetzt sprach mein Vater. »Es bringt doch nichts, sich aufzuregen. Ich denke, ich habe diesem Kerl deutlich genug gemacht, dass ihn hier keiner haben will. Und ich bin mir sicher, er hat es kapiert.«
Meine Mutter machte laut
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