Die Tiefen deines Herzens
meinen ganzen Körper erfasst hatte. Ein Strahlen ging über mein Gesicht, das ich nicht zurückhalten konnte. Ich zog Marc vorsichtig zu mir herab und legte meine Lippen auf seinen Mund. Marc stöhnte leise auf und schlang die Arme wieder fester um mich. Er erwiderte meinen Kuss und mit einem Mal wurde alles andere unwichtig.
Berlin. England. Clara. Jamie. Das Boxcamp. Geena, die zu Hause auf mich wartete. Ihre Eltern. Und ja, auch Felix.
Das hier fühlte sich richtig an. Das war es, was ich wollte. So sollte es sein, so sollte es bleiben. Am besten für immer.
Die nächsten Tage erlebte ich wie im Rausch. Marc und ich. Ich und Marc. Es gab nur noch uns beide.
Wenn Marc nicht im Camp bei Jamie trainierte, verbrachte er jede Minute mit mir. Gemeinsam erkundeten wir die Insel, badeten, sonnten uns und alberten herum. Machten stundenlange Strandspaziergänge oder hockten einfach nur eng umschlungen im weichen Sand, um einen der traumhaft schönen Sonnenuntergänge zu bewundern.
Wir ließen nur voneinander ab, wenn Clara oder Jamie in der Nähe waren. Wir wussten nicht, wie die zwei auf unsere Beziehung reagieren würden, und hatten keine Lust, uns die letzten Tage auf Usedom mit Diskussionen zu verderben.
Abends, wenn wir uns zum Schlafen in unsere Zimmer verabschiedeten – natürlich niemals gleichzeitig, um keinen Verdacht zu erregen –, trafen wir uns anschließend auf unserem Balkon, um dann in Marcs oder meinem Zimmer die Nacht zu verbringen. Und irgendwie erhöhte die Tatsache, dass Jamie und Clara davon nichts ahnten, die prickelnde Spannung zwischen uns noch.
Natürlich war da Geena, die aus allen Wolken fiel, als ich ihr telefonisch mitteilte, dass ich es mir anders überlegt hatte und nun doch nicht vorzeitig zurück nach Berlin kommen wollte. Sie löcherte mich mit Fragen, aber das erste Mal in all den Jahren unserer Freundschaft belog ich sie, weil ich ahnte, dass sie nichts unversucht lassen würde, um mir Marc auszureden.
Felix war inzwischen auch wieder erreichbar – zumindest erhielt ich zahlreiche Anrufe von ihm. Doch ich war nicht in der Lage, sie entgegenzunehmen. Genauso wenig, wie ich seine SMS lesen konnte.
Wenn ich an Felix dachte, verspürte ich ein schmerzlich schlechtes Gewissen und auch unendliches Bedauern. Es tat mir leid um meinen besten Freund und um unsere gerade erst erwachte Liebe füreinander. Aber das, was ich für Marc empfand, war einfach so stark und mächtig, dass ich alles andere nur weit von mir schieben konnte – an einen anderen Ort, der mit diesem hier, an dem ich mich gerade mit Marc befand, nichts zu tun hatte.
Doch so sehr wir uns auch bemühten, im Hier und Jetzt zu leben und nicht an morgen, nächste Woche oder nächstes Jahr zu denken, irgendwann mussten wir uns der Realität stellen.
Am Vorabend meiner Heimreise lagen Marc und ich nebeneinander auf einer Decke am Strand. Über uns leuchtete der Sternenhimmel, hell und schön.
»Siehst du da oben rechts unseren alten Bekannten?«, fragte Marc und streichelte mir den Rücken.
Ich rückte noch ein Stückchen näher an ihn heran. Weich und schwer sank ich in seine Arme. »Meinst du Sirius?«
Er nickte. »Ein gutes Gefühl, dass man ihn immer da oben finden kann, nicht wahr?«
Ich grinste. »Es sei denn, man hält sich gerade nördlich des 74. Breitengrades auf.«
Marc verpasste mir einen leichten Knuff gegen den Oberarm. »Keine Sorge, Süße, dorthin werde ich mich bestimmt nicht verirren.«
Ich bedeckte sein Gesicht mit vielen kleinen Küssen. Marc schloss die Augen und ließ es einfach geschehen. Als er sie wieder öffnete, lag ein warmer, zärtlicher Glanz in ihnen, der mir durch und durch ging.
»Leni«, flüsterte er, »weißt du, Sirius könnte unser Treffpunkt am Himmel sein.«
Ich sah ihn erstaunt an. »Wie meinst du das?«
Er seufzte leise. Dann lächelte er. »Wann immer wir zusammen sein wollen, aber viele hundert Kilometer voneinander getrennt sind, können wir uns dort oben treffen. Du brauchst einfach nur zu Sirius hochzuschauen und ich werde schon dort sein und auf dich warten.«
Mein Herz war so voll, es quoll fast über. Ich hätte es ihm gern ausschütten mögen, doch ich wusste nicht, wie. Und so hielten wir uns fest umschlungen und blickten zu unserem Stern hinauf. Es war das schönste und angstvollste Schweigen meines Lebens. Eine einzigartige Empfindung von Verbundenheit und Getrenntsein. Ich war überglücklich und zugleich zu Tode betrübt.
»Was … was ist los?«,
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