Die Tigerin
»Ich hätte schon einen,
aber im Augenblick brauche ich Sie noch, Wheeler, so unangenehm mir der Gedanke
auch ist. Ich möchte, daß Sie sich ausschließlich auf diesen Fall
konzentrieren, und >ausschließlich< schließt auch die Damenwelt ein. Sie
können bekommen, was Sie haben wollen — sprechen Sie sich ruhig aus — , und ich werde versuchen, es Ihnen zu beschaffen.
Vielleicht sollten wir die Mordabteilung benachrichtigen ?«
»Dieser
Friedhof liegt in Ihrem County, Sheriff«, sagte ich milde. »Ich glaube nicht,
daß wir es nötig haben, alle diese Plattfüße die ganze Zeit über dort
herumtrampeln zu lassen .«
»Der
einsame Wolf — der unorthodoxe Beamte ?« schnaubte er
voller Spott. »Sie werden gut daran tun, Ihren Ruf diesmal zu rechtfertigen — sonst
sind Sie erledigt, Wheeler .«
»Ja,
Sir«, sagte ich geduldig, »ich habe, falls Sie sich erinnern sollten, gefragt,
ob Sie irgendwelche Vorschläge zu machen haben, und ich dachte dabei nicht an
eine Reihe goldener Lebensregeln für gute Lieutenants, die morgens brav ihren
Haferbrei essen. Vorschläge — zum Beispiel der Art, wie ich mich diesem
prominenten Gehirnschlosser nähern könnte? Wissen Sie etwas über ihn, seine
Frau und diese Sekretärin — irgendwelche schlüpfrigen Geschichten, die
abgesehen von mir jedermann in der Stadt kennt? Ich vermute, wenn es da
überhaupt irgendwelche schmutzige Wäsche gibt, dann sind Sie der erste, der
darüber Bescheid weiß«, schloß ich im Ton der Bewunderung.
Die
Augen des Sheriffs nahmen für eine Sekunde eine schwachrötliche Färbung an;
aber drei hastige Züge an seiner Zigarre plus einer rechtzeitigen Erinnerung
daran, was ihm der Arzt beim letztenmal gesagt hatte,
ließ seine Stimme beinahe milde klingen.
»Ich
habe Polnik zu ihm hingeschickt, um ihm von der Sache
mit seiner Sekretärin zu berichten«, sagte er, ohne meine Fragen zu beachten.
»Wenn die Beerdigung seiner Frau vorüber ist, wird er sich an den Gedanken
gewöhnt haben. — Na ja, jedenfalls wird der erste Schock vorüber sein. Das wird
Ihnen Ihre Aufgabe, hinzugehen und Fragen zu stellen, erleichtern. Nicht wahr?«
»Vielleicht
sollte ich während der Aufbahrung zu ihm gehen ?« knurrte ich. »Tut mir leid, das mit Ihrer Frau, Doktor, wirklich scheußlich! Und
Ihre Sekretärin ist auch noch ermordet worden? Ja — ja, so etwas kann selbst
einen Gehirnschlosser erschüttern. Trinken Sie noch ein Glas, Doc, und erzählen
Sie mir alles. Ja?«
Als
ich fertig war, hatte sich Lavers ’ Kopf mit
Zigarrenrauch umwölkt. »Machen Sie, was Sie wollen, verdammt noch mal,
Lieutenant«, sagte er mit erstickter Stimme. »Aber entweder übernehmen Sie oder
die Mordabteilung die Sache — Sie können es sich aussuchen .«
»Okay,
okay«, sagte ich hoffnungslos. »Ihr Angebot von vorhin, ich könnte alles haben,
was ich will, schließt wohl keine drei Wochen Urlaub ein ?«
Ich
war schon halbwegs bei der Tür, als er »Raus !« schrie.
ZWEITES KAPITEL
Mr.
Jason Thorro war ein großer magerer Bursche um die
Vierzig herum, mit einem Asketengesicht und kurzgeschnittenem,
frühzeitig graugewordenem Haar. Er trug einen gutsitzenden dunklen Anzug, der
ihn von dreihundert Dollar an aufwärts gekostet haben mußte, und alles übrige paßte dazu. Die kräftigen
Hände mit den langen sensiblen Fingern bewegten sich unaufhörlich auf der
Schreibtischplatte vor ihm, während er sprach.
»Ich
verstehe Ihre Situation, Lieutenant«, sagte er ruhig. »Der Himmel weiß, wer den
Wunsch hegen konnte, die arme Bernice umzubringen, aber anscheinend war es so.
Natürlich müssen Nachforschungen angestellt werden .« Er zuckte hilflos die Schultern. »Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was für
einen Schock es für mich bedeutet hat, als mir der Sergeant die Details
erzählte — eine halbe Stunde vor der Beerdigung. Und ihre Leiche wurde in
Marthas Grab gefunden !«
Er
stand unvermittelt auf, ging zum Fenster hinüber und blieb dort, mir den Rücken
zuwendend, stehen.
»Das
kann doch kein Zufall sein, Lieutenant, oder ?« Seine
Stimme klang wie erstickt.
»Nicht sehr wahrscheinlich«,
sagte ich höflich. »Haben Sie Feinde, Doktor ?«
»Um Himmels willen!« Er
schauderte heftig. »Ich hoffe jedenfalls, daß ich keine Feinde habe, die mich
so sehr hassen !«
»Wie steht es mit dem Mädchen —
Ihrer Sekretärin? Hatte sie irgendwelche Widersacher ?« fragte ich.
»Nicht daß ich wüßte«, sagte er
schwerfällig. »Bernice war meine Privatsekretärin,
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