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Die Tigerin

Die Tigerin

Titel: Die Tigerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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balancieren.
    Ich
betrachtete mir das Mädchen in dem mit Samt ausgeschlagenen Sarg näher, vor
allem die Hände, die so säuberlich über der Brust gefaltet waren — jemand hatte
sich gewaltige Mühe gegeben, all diese Symmetrie herzustellen. Zwischen dem
ersten und zweiten Finger ihrer rechten Hand zeigte sich ein kleiner
rostbrauner Fleck. Als ich das Handgelenk ergriff und ihre Hand sachte anhob,
war da ein hübsches Loch zu sehen, das mitten durch den Oberteil ihres
schwarzen Kleides ging und von einem Rand getrockneten Blutes umgeben war.
    Von
der tiefen Trance, auf die Polnik hoffte, konnte also
keine Rede sein, und wir brauchten Doc Murphy nicht dazu, um festzustellen, daß
sie tot war, sondern nur dazu, um herauszufinden, wie sie umgekommen war und
wann. Von irgendwo über mir drang ein schwaches entsetztes Stöhnen herunter.
    »Lieutenant«,
krächzte Williams’ Stimme verzweifelt, »ist das nicht eine Schußwunde ?«
    Ich
kletterte aus dem Grab hinaus und blieb neben Williams in dem saftigen grünen
Gras stehen. Seine Hände liefen förmlich Amok — die eine scharrte wie
wahrsinnig an seinem Nacken herum, die andere suchte Geborgenheit innerhalb
seiner Jacke und zupfte an dem feinen weißen Leinenhemd.
    »Himmel,
wenn das die Öffentlichkeit erfährt !« Seine Augen
begannen bei dem Gedanken zu rollen. »Die Zeitungen werden einen großen Tag
haben, Lieutenant! Ich möchte nicht wissen, was die Direktoren sagen werden — noch
nie ist so etwas bei uns vorgekommen !«
    »Das
überrascht mich, Mr. Williams«, sagte ich ernsthaft. »Sie behaupten, das hier
sei der allererste Sarg — «
    Die
kratzenden Finger verließen plötzlich den Nacken und griffen in verzweifelter
Begierde nach einem Ohrläppchen.
    »Das
ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt für schlechte Witze, Lieutenant !« Sein Gesicht war kreideweiß. »Sie scheinen sich nicht im klaren darüber zu sein, was für eine entsetzliche Tragödie
dies hier für uns bedeutet .«
    »Und
für das Mädchen im Sarg«, fuhr ich ihn an. »Sie ist ermordet worden .«
    »Ja —
ja, natürlich.« Seine Finger kamen vorübergehend zur Ruhe. »Verzeihung — aber
bei Gelegenheiten wie diesen kann man unter Umständen die richtige Perspektive
verlieren .«
    »Haben
Sie das Mädchen je zuvor gesehen ?« fragte ich ohne
ernsthafte Hoffnung.
    »O
ja.« Er nickte. »Schon oft, Lieutenant.«
    »Wollen
Sie damit sagen, Sie kennen sie ?« Ich glotzte ihn
einen Augenblick lang an und war nun meinerseits an der Reihe, mir den Nacken
zu kratzen. — »Wer war sie ?«
    »Miss Kains «, sprudelte er heraus. »Sie hat die ganzen
Vorbereitungen getroffen .«
    »Vorbereitungen?
«
    »Sie
war Doktor Thorros Privatsekretärin«, sagte er, als
ob das alles erklärte.
    »Was
für Vorbereitungen ?« knurrte ich.
    »Für
die — äh — Beerdigung seiner Frau heute vormittag «,
sagte Williams gepeinigt. »Ich habe es vorhin schon erwähnt, erinnern Sie sich,
Lieutenant? Die Beerdigung ist auf elf Uhr angesetzt — dieses Grab hier war für
die verstorbene Mrs. Thorro ausgehoben worden.
     
    Sheriff Lavers saß hinter seinem Schreibtisch und betrachtete
mich ebenso finster wie verwirrt, als müßte er jemanden zur Verantwortung
ziehen und als wäre ich der dafür Nächstliegende. » Wieviel Uhr ist es ?« fuhr er mich an.
    Ich
blickte auf meine Uhr. »Fünf vor elf.«
    »In
fünf Minuten wird also Mrs. Thorro in demselben Grab beerdigt, in dem man die Leiche der Sekretärin des Doktors
gefunden hat ?« Er schauderte bei dem Gedanken, und ich
konnte es ihm nicht verdenken. »Wissen Sie, Wheeler, daß in den nächsten
vierzehn Tagen nichts anderes in Pine City mehr eine
Rolle spielen wird? Die Leute werden sich über diese Sache derart das Maul
zerreißen, daß sie nicht einmal bemerken würden, wenn der dritte Weltkrieg
ausbräche .«
    »Ja,
Sir«, sagte ich, denn mehr war dazu nicht zu bemerken.
    » Thorro ist, wie der Superintendent Ihnen bereits gesagt
hat, einer unserer prominentesten Bürger .« Lavers biß das eine Ende einer Zigarre ab und spie es mit
finsterer Präzision in den metallenen Abfallkorb neben seinem Schreibtisch. »Er
ist der führende Psychiater in der Stadt und gehört sieben oder acht
verschiedenen Komitees für alle möglichen edlen Bestrebungen an. Um alles in
der Welt — sie werden uns steinigen, wenn wir diesen Fall nicht schnellstens
aufklären .«
    »Haben
Sie irgendwelche Vorschläge, Sheriff ?«
    Er
warf mir einen ausgesprochen feindseligen Blick zu.

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