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Die Tigerin

Die Tigerin

Titel: Die Tigerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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davon,
Lieutenant.« Wieder zuckte er die Schultern. »Aber wenn ich es mir überlege, so
wußte ich überhaupt nicht viel über Marthas Dasein, abgesehen von den Dingen,
die uns gemeinsam angingen .«
    Ich nahm mir selber eine
Zigarette heraus. »Sie sind nicht gerade eine große Hilfe«, sagte ich düster.
    »Tut mir leid«, sagte er
mechanisch. »Im Augenblick kann ich nicht ganz klar denken — das werden Sie
begreifen. Vielleicht könnte Ihnen Tania Stroud mehr
erzählen .«
    »Tania Stroud ?« fragte ich.
    »Sie war Marthas Busenfreundin
und Vertraute .« Sein Mund zuckte vor Widerwillen. »Sie
steckten ewig beieinander — beim Lunch, bei Cocktailparties ,
bei Modenschauen, im Kosmetiksalon. Manchmal dachte ich, daß Tania beinahe mehr
über mich wußte als Martha selber. Sie hat eine Wohnung am Lakeside Drive. Sie ist Witwe, die unbegrenzte Zeit hat, zu tun, was ihr Spaß macht —
und die auch das nötige Geld dazu hat. Ihr verstorbener Mann hat die
sprichwörtliche Million zusammenverdient. Und vielleicht hätte er es eines
Tages auch noch dazu gebracht, die Freuden des Daseins mit Hilfe seines Geldes
zu genießen, aber ein Herzinfarkt hat es verhindert .«
    Er kritzelte die Adresse auf
einen Notizblock, riß dann das Blatt ab und reichte es mir.
    »Tania war bei der Beerdigung heute vormittag sehr bewegt«, sagte er, und seine Stimme klang eine Spur trocken. »Sie hat von dem Augenblick an,
als wir den Friedhof betraten, laut und hysterisch geweint — sie hat sich
sozusagen selber zur Hauptleidtragenden gemacht .«
    »Ich wette, Mr. Williams hat
diese Art Szene mißbilligt «, sagte ich.
    »Williams?« Seine Augen bekamen
plötzlich einen interessierten Ausdruck. »Sie meinen den Superintendenten dort?
Interessant — sehr interessant. Ziemlich weit vorgeschrittene Ankylostomiasis , würde ich sagen .« Er sah den verständnislosen Ausdruck auf meinem Gesicht und fügte hinzu: »Eine
durch Überschwemmung mit Würmern hervorgerufene Krankheit — verbunden mit einer
Phobie, Lieutenant. Haben Sie bemerkt, daß er sich die ganze Zeit kratzt ?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Ein Schuldkomplex, würde ich
annehmen .« Thorros Stimme
hatte einen Unterton professioneller Begeisterung bekommen. »Ich würde ihn sehr
gern analysieren. Ich habe, was Leute seines Berufes anbetrifft, eine bestimmte
Theorie — sie haben die ganze Zeit mit Toten und Trauernden zu tun. Ich habe
das Gefühl, daß so etwas sehr leicht einen starken Schuldkomplex auslösen kann.
Sehen Sie, sie leben noch, und nach einer gewissen Zeit muß es ihnen als
ausgesprochen unfair erscheinen — daß in ihrer Umgebung außer ihnen alle
sterben !«
    »Eine interessante Theorie,
Doktor«, sagte ich vorsichtig. »Ich
dachte, Williams hätte einfach ein schlimmes Ekzem .«
    »Wirklich ?« fuhr er auf. »Das bezweifle ich sehr, Lieutenant .«
    »Sie
ziehen die Geschichte mit der Würmerüberschwemmung vor ?« Ich zuckte bei dem Gedanken ein wenig zusammen.
    »Die
Totenwürmer nagen innerlich an ihm«, sagte Thorro und
nickte begeistert. »Es ist eine Kompensation, verstehen Sie, eine Art
Rechtfertigung dem Schuldgefühl, noch am Leben zu sein, gegenüber .«
    Zum erstenmal , seit ich seine Praxis betreten hatte, wirkte
sein Gesicht belebt. »>Nun gut<, sagt das Unterbewußtsein dieses Mannes, >ich mache mich schuldig, indem ich in der Welt der Toten
lebe, aber in Wahrheit sterbe ich ebenso wie die anderen .< Lachen Sie nicht, Lieutenant. Logik hat in den dunklen Tiefen menschlicher
Psyche nichts zu suchen .«
    »Was
gibt es da zu lachen ?« sagte ich nervös. »Sie haben
mir soeben für mein ganzes Leben den Appetit an Spaghetti verdorben .«
    Ich
verließ die Praxis des Doktors im fünften Stock des ziemlich neuen und so
überaus eleganten Gebäudes und fragte mich, wie jemand, der wirklich krank war,
die Unverschämtheit haben konnte, die sanften Pastellfarben und den
schimmernden Bodenbelag durch etwas so offensichtlich nicht Hierhergehöriges
wie ein Leiden zu beeinträchtigen.
    Während
meiner Fahrt zu Tania Stroud dachte ich kurz daran,
eine Lunchpause zu machen, aber die lebendige Erinnerung an Thorros Theorie betreffs der wahren Hintergründe von Williams’ unaufhörlichem Kratzen
genügte vollauf, um jedes Hungergefühl zu unterdrücken. Lakeside Drive lag in der Tat an einem See, einem ruhigen Gewässer, das tagsüber von
Wildenten und dessen Ufer nachts von schmusenden Liebespärchen besucht wurden.
Jetzt, am frühen Nachmittag, wo das stille

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