Die Time Catcher
müde. Wir sollten beide ein bisschen schlafen, ehe wir in die Vergangenheit aufbrechen.«
»W ürde ich ja gern machen, aber …«
»A ber was?«
»I ch habe hier keinen Schlafplatz mehr. Ich kann doch nicht einfach unser Zimmer benutzen, wenn ich eigentlich in der Wüste sein sollte.«
»D aran habe ich auch schon gedacht.«
Ich folge ihr ins Treppenhaus und die Stufen zum dritten Stock hinunter. Sie öffnet die Tür, sieht sich nach allen Seiten um und gibt mir ein Zeichen, dass die Luft rein ist. Ich schlüpfe zu ihr auf den Gang hinaus.
Wir treffen uns auf der Feuerleiter, gibt sie mir lautlos zu verstehen. Ich muss vorher noch ein paar Sachen holen.
Auf dem Weg zur Feuerleiter bleibe ich vor dem Aufenthaltsraum stehen. Alles ist dunkel. Ich trete ein und gehe zu Nassims Büro hinüber. Die Tür ist abgeschlossen, doch habe ich keine Schwierigkeiten, sie zu knacken. Ich schleiche mich hinein und öffne seine Schreibtischschublade. Das kleine Fläschchen mit den Pillen ist immer noch da. Ich schüttele zwei davon heraus, lasse sie in meiner Tasche verschwinden und stelle das Fläschchen zurück.
Abbie erreicht die Feuerleiter eine Minute nach mir. Sie bringt eine geblümte Bettdecke und ein passendes Kopfkissen mit.
»T ut mir leid, ist für deinen Geschmack vielleicht ein bisschen zu mädchenhaft, aber anderes Bettzeug konnte ich auf die Schnelle nicht finden«, sagt sie.
»W o wollen wir hin?«, frage ich.
»A n einen schönen, ruhigen Ort.« Sie umfasst mein Handgelenk.
Wir landen in einem Wald. Im ersten Moment frage ich mich, ob wir uns wieder in Frankreich in der Nähe von Nicéphores Haus befinden. Doch dann erblicke ich eine vertraute Bank. Dies ist mein Rückzugsort im Central Park.
»W ir sind nur ein wenig durch den Raum, nicht durch die Zeit gereist. Es ist jetzt genau 3 Uhr 8, Ostküstenzeit.«
Abbie nimmt mir Bettdecke und Kissen ab und breitet beides auf der Bank aus.
»S o, schlaf gut! Ich hol dich um sieben Uhr ab.«
»D anke … hast du sieben gesagt?«
»I st das zu spät?«
»Ä h, nö, schon okay.«
»A lso dann gute Nacht.« Sie winkt mir kurz zu, tippt auf ihr Handgelenk und ist verschwunden.
Ich liege auf dem Rücken und blicke in den Nachthimmel, den Teil, der durch eine Lücke zwischen den Bäumen zu erkennen ist. Doch sehe ich nicht annähernd so viele Sterne wie in der Wüste. Die Wüste. Es ist schwer zu glauben, dass ich gestern noch in meiner kleinen Höhle war, Selbstgespräche geführt und dann Abbie wiedersah, die zu meiner Rettung kam. Und jetzt ziehe ich sie in etwas hinein, das ihr noch mehr Ärger bereiten könnte.
Ich kuschle mich in die Decke. In der Ferne ist die Sirene eines Krankenwagens zu hören, während von der Südseite des Parks Verkehrsgeräusche zu mir herüberdringen. Es muss erst kürzlich geregnet haben, denn als ich die Hand von der Bank baumeln lasse, berühren meine Finger feuchtes Gras.
Ich schließe die Augen. Ein Bild (oder ist es eine Erinnerung?) nimmt Gestalt an. Ein kleiner Junge sitzt auf der nackten Erde. Auch an diesem Ort hat es gerade geregnet, was den Jungen nicht im Geringsten stört, weil er dann umso mehr Matsch hat, um seine Burg zu bauen. Er lässt seine Finger durch die feuchte Erde gleiten und errichtet zuerst die Grundmauern. »N och nicht gucken«, sagt er und fügt einen Turm hinzu. »I mmer noch nicht gucken«, sagt er, gräbt einen Burggraben und füllt ihn mit Wasser aus seinem Eimer.
»O kay, jetzt kannst du gucken!«, sagt er, doch als er aufblickt, um sich zu vergewissern, dass sie auch herschaut, ist sie verschwunden und mit ihr die Burg. Stattdessen befindet er sich in einem Raum, der so weiß ist, dass seine Augen schmerzen. Und reglos in einem Bett in der Mitte des Raumes liegt eine Frau, deren Haut dieselbe Farbe hat wie die Wände. Der Junge will sie nicht ansehen. Denn wenn er sie nicht sieht, denkt er, ist es vielleicht nicht wahr. Er kneift seine Augen zusammen. So sehr, bis alles Weiß der Wände und des Gesichts der Frau verschwunden sind. Aber eine Frage, die in seinem Kopf heranwächst, kann er nicht aufhalten. Und als sie sich Bahn bricht, besteht sie aus einem einzigen erstickten Wort: »M ommy?«
»R aus aus den Federn, Cale.«
Ich drehe den Kopf und blinzele zu Abbie hinauf. Sehr hell ist es hier, wo immer ich bin. Ach ja, die Bank im Central Park.
»W ie spät ist es?«
»Z ehn nach sieben. Ich hab dich noch ein bisschen schlafen lassen. Komm, Zeit zum Aufstehen.«
Ich schwinge meine
Weitere Kostenlose Bücher