Die Time Catcher
Tür zu Onkels Büro, die gerade geöffnet wurde. Wenn es Onkel ist, wird er jeden Moment seinen Computer anwerfen. Und wenn er das tut, wird er sofort merken, dass jemand in sein System eingedrungen ist.
Jetzt schnell! Dateinamen flitzen über den Bildschirm. Markieren und schließen. Markieren und schließen. Markieren und schließen.
Verdammt, wo sind sie nur?
Markieren und schließen. Markieren und … da sind sie!
Auswählen!!
Sämtliche Daten von zwei Komfortpaketen werden auf Phoebes System übertragen.
»R unterfahren!«
In Onkels Büro gehen die Lichter an.
»H allo, Onkel«, sagt Phoebe.
10. Juli 2061, 2:49 Uhr
Edles für die Ewigkeit, Hauptquartier
New Beijing (früher New York City)
K einerlei Geräusche. Dann plötzlich Onkels Stimme: »P hoebe, bitte Nassims vollständige Datei löschen.«
»1 0. Juli 2061. Löschbefehl Nummer fünf. Datei Nr. 5134-89 vollständig löschen.«
Ich habe einen Kloß im Hals. Ich kann es nicht glauben. Nassims Datei zu löschen, kann nur heißen, dass Onkel ihn loswerden will. Vielleicht schon morgen oder nächste Woche – sobald er einen Nachfolger für ihn gefunden hat. Aber geschehen wird es auf jeden Fall.
»U nd ich dachte, bei ihm würde es ein bisschen länger dauern, bis du genug von ihm hast«, plappert Phoebe. »W ie dumm von mir. Was hat er getan, Onkel? Deine Crème brûlée anbrennen lassen?«
»W iederhole, was du gerade gesagt hast, Phoebe«, befiehlt Onkel. Ich bin wie erstarrt. Onkel hat ein exzellentes Gehör, und wenn ich mitbekomme, was in seinem Büro gesagt wird, dann kann er bestimmt auch uns hören.
Phoebe gibt ein Geräusch von sich, das wie ein Seufzen klingt. »I ch habe gesagt, dass ich dachte, es würde ein bisschen länger dauern …«
»N ein, davor.«
»D u meinst, die Computersprache?«
»G enau«, sagt Onkel.
»I ch sagte: 10. Juli 2061. Löschbefehl Nummer fünf. Datei Nr. 5134-89 vollständig löschen.«
»W arum hast du Löschbefehl Nummer fünf gesagt? Ich habe dir heute noch keine anderen gegeben.«
»D as stimmt«, entgegnet sie. »T rotzdem war dein Löschbefehl der fünfte am heutigen Tag. Also: Löschbefehl Nummer fünf.«
Stille.
»W er hat dir die anderen Befehle erteilt, Phoebe?«
Ich halte die Luft an. Meine Handflächen schwitzen.
»I ch weiß nicht«, antwortet sie.
Ich atme langsam aus.
Onkel schweigt für einen Moment. Als er schließlich zu sprechen beginnt, tut er dies mit erzwungener Ruhe. »W ie kommt es, dass du es nicht weißt?«
»D a muss ich wohl eine kleine Erinnerungslücke haben«, antwortet Phoebe mit zittriger Stimme.
»D as sind ziemlich beunruhigende Nachrichten, Phoebe«, sagt Onkel. »W enn du eine so fundamentale Erinnerungslücke hast, wie kann ich dann sicher sein, dass es nicht noch viel mehr davon gibt?«
Ich wechsle die Position. Meine Knie knirschen vernehmlich.
Ein langer Moment der Stille. Mist, er muss was gehört haben. Ich stelle mir vor, wie Onkel sein Büro verlässt, auf direktem Weg zu Abbies Computerarbeitsplatz geht und über die Trennwand späht. Und dass die tanzende Ader auf Onkels Stirn das Letzte ist, was ich sehe, ehe mein irdisches Leben ein schnelles und furchtbares Ende nimmt.
»U nd jetzt löschst du dein Belohnungssystem, Phoebe.« Ich höre das Lächeln in Onkels Stimme.
»N ein, Onkel, bitte nicht«, fleht sie.
Onkel nimmt sich einen Moment Zeit. »L ösch es! Sofort!«
Ich höre einen winselnden Laut, wie ihn ein kleiner Hund von sich geben würde, der von einem hungrigen Wolf in die Ecke getrieben wird. Bis zu diesem Moment hätte ich nicht gedacht, dass es möglich ist, Mitleid mit einem Computer zu empfinden.
»B elohnungssystem gelöscht«, presst sie mit heiserer Stimme hervor.
»U nd jetzt bedank dich bei mir.«
»D a…danke, Onkel«, murmelt Phoebe.
»N icht der Rede wert. Es war mir ein Vergnügen, Phoebe.« Onkels Stimme schwillt an. Er verlässt sein Büro und geht in unsere Richtung!
Während er den Gang entlangschreitet, beginnt er zu lachen. Es ist ein bitteres, krampfhaftes Gelächter, das von den Wänden widerhallt und mir durch Mark und Bein geht.
Ich halte den Atem an, als Onkel keinen Meter von uns entfernt vorübergeht.
Erst nachdem sich die Türen des Aufzugs geschlossen haben, stoße ich erleichtert die Luft aus.
»U nd jetzt?«, fragt Abbie.
»J etzt reisen wir zur Expo ’67 und hindern Mario daran, Ben zu entführen.«
Sie sieht mich durchdringend an. »D u siehst erschöpft aus, Cale. Und ich bin auch
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