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Die Time Catcher

Die Time Catcher

Titel: Die Time Catcher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ungar
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die Tentakel eines Seeungeheuers. Norman führt die andere Hand zu einem militärischen Gruß an die Stirn.
    »A dieu, Captain Percival! Glückliche Reise!« Er nimmt mir den Soldaten aus der Hand, schlägt ihn rasch in braunes Packpapier ein und wirft ihn mir zu.
    Was machst du so lange?, fragt Abbie per Gedankenübertragung.
    Bin schon fertig, antworte ich.
    Norman wendet sich kurz von mir ab, bückt sich und stellt einen anderen Soldaten dorthin, wo eben noch Captain Percival gestanden hat.
    Doch dieser Moment reicht mir, um mein Handgelenk auf das Jahr 1967 umzuprogrammieren.
    Eine Türglocke klingelt. Ich blicke auf und schnappe nach Luft, als ich die Person erblicke, die in diesem Moment durch die Hintertür den Laden betritt: Es ist mein zukünftiges Ich.
    Es ist immer ein seltsames Gefühl, einer anderen Ausgabe seiner selbst über den Weg zu laufen. Zum ersten Mal ist mir das passiert, als Abbie und ich 1920 in Paris waren und eine von Van Gogh gezeichnete Katze aus dem Grand Palais entwendet haben. Als wir auf dem Weg nach draußen waren, hat mir dieser Junge, der mein Zwilling hätte sein können, gesagt, ich hätte etwas vergessen. Was sich als richtig herausstellte. Es war ein Stück von der Luftpolsterfolie, die ich mitgenommen hatte, um das Bild zu schützen. Unheimlich, oder?
    Und jetzt frage ich mich, was mein zukünftiges Ich hier zu suchen hat. Hoffentlich kehrt es gerade, wie von mir geplant, aus dem Jahr 1967 zurück. Doch gehörte es nicht zu meinem Plan, mir selbst in diesem Raum zu begegnen. Hätte mein anderes Ich nicht noch ein paar Sekunden warten können, bis ich verschwunden bin? Ich hab sowieso schon genug um die Ohren, und jetzt muss ich Norman auch noch erklären, warum er doppelt sieht. Ich werfe meinem zukünftigen Ich also einen missbilligenden Blick zu. Dann verlassen der Captain und ich in aller Eile das Jahr 1871.

8. Juli 1967, 20:32 Uhr
    Expo ’67
    La Ronde, Montreal, Kanada
    A ls ich die Augen öffne, sehe ich einen Jungen auf einem grün gestreiften Zebra und ein kleines Mädchen auf einem gepunkteten Nashorn reiten, während sich ein größerer pummeliger Junge auf einem zitronengelben Strauß vergnügt.
    Um mich zu vergewissern, dass ich nicht träume, kneife ich die Augen zusammen und öffne sie wieder. Doch alle sind immer noch vorhanden, und ich selbst sitze in einer käfigartigen Märchenkutsche. Wir alle fahren im Kreis, während laute Walzermusik aus den Lautsprechern über unseren Köpfen dröhnt.
    Das Karussell wird allmählich langsamer und hält an. Ich steige aus und atme die Abendluft ein.
    Alle Fahrgeschäfte sind hell erleuchtet. Alles ist voller Leute: groß gewachsene Männer mit weißen Hemden und schmalen Krawatten, zierliche Frauen in pastellfarbenen Kleidern, Kartenkäufer mit kleinen ovalen Hüten. Ein Wirrwarr von Geräuschen dringt auf mich ein: Lachen, Rufe, das Rattern eines Zuges. Als ich aufblicke, sehe ich eine blau-weiße Fahne mit dem Symbol der Expo ’67: sechzehn Strichmännchen, die einen Kreis bilden, flattern in der abendlichen Brise.
    Die Anspannung in meinen Schultern lässt ein wenig nach. Ich bin wieder zurück.
    Plötzlich habe ich Abbie vor Augen, wie sie vor Normans Kolonialwarenladen auf mich wartet. Ich hasse es, sie einfach zu verlassen, ohne sie in meine Pläne einzuweihen. Vielleicht hätte ich ihr den wahren Grund erzählen sollen, warum ich in den Laden gegangen bin. Aber dazu bin ich noch nicht bereit.
    Doch jetzt stehe ich vor einem akuten Problem: Wie soll ich unter den Tausenden von Touristen die drei Personen finden, nach denen ich suche? Dann erinnere ich mich daran, dass Jim sagte, sie wollten zu einem Fahrgeschäft mit zwei Pyramiden gehen.
    Ich setze mich in Bewegung und halte nach ihnen Ausschau. Die Leute, die an mir vorbeigehen, wenden sich ab. Manche rümpfen die Nase, und einer von ihnen, ausgerechnet ein Priester, bekreuzigt sich sogar. Ich werfe einen Blick auf meine abgenutzten Schuhe. An der Seite des linken ist ein brauner Schmutzfleck. Pferdedung anno 1871. Kein Wunder, dass die Leute mich schief angucken.
    Ich gehe mitten durch eine fünfköpfige Familie hindurch, bis ich einen kleinen Grasflecken erreiche. Dort wische in den Pferdedung ab. Als ich mich wieder aufrichte, sehe ich etwas, das mich geschockt innehalten lässt.
    Mario.
    Er lungert an der Abholstelle für verloren gegangene Kinder herum. Einen Fuß hat er auf einer Bank abgestellt und sieht so aus, als sei er mit sich selbst beschäftigt.

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