Die Time Catcher
halten. Aber das scheint dir ja nicht besonders zu liegen.«
»D ie Augen offen zu halten, ist doch wohl was anderes, als Mario die ganze Zeit anzuglotzen!«, platzt es aus mir heraus.
Abbie sieht mich durchdringend an. »W ürdest du bitte endlich kapieren, dass ich nichts von ihm will und auch nicht mit ihm unter einer Decke stecke?«
Ich weiche ihrem Blick aus. Ich würde ihr ja gerne glauben. Doch wenn ich es tue, bedeutet das, sie spielt Mario nur etwas vor. Und wenn sie das tut, wer garantiert mir dann, dass sie mir gegenüber ehrlich ist?
»H ör zu«, sagt sie. »D ie Zeiten haben sich geändert, falls du das nicht bemerkt haben solltest. Wir sind keine kleinen Kinder mehr. Onkel hält nicht mehr seine schützende Hand über uns. Im Gegenteil, er springt immer härter mit uns um. Und falls du glauben solltest, dass alles besser wird, wenn Onkel sich eines Tages zurückzieht, dann irrst du dich gewaltig. Dann wird nämlich Mario die Leitung übernehmen, und wie’s im Moment aussieht, wird dann alles noch schlimmer werden.« Sie macht eine Pause. »J eder Time Catcher muss allein klarkommen. Eine andere Chance haben wir nicht.«
Ich lasse ihre Worte auf mich wirken.
»D as heißt dann wohl, dass du dich um deine und ich mich um meine Sachen kümmere«, erwidere ich. Mein Magen zieht sich zusammen.
Sie bleibt vor einem roten Gebäude stehen, vor dem sich ein Pfosten zum Pferdeanbinden befindet, und wendet sich mir zu. »W as ist nur los mit dir, Cale? So kenne ich dich gar nicht.«
Abbie hat recht. Ich habe mich verändert. Mit Marios Angriffen auf mich ging es los, und seit ich Ben bei der Expo ’67 auf der Rolltreppe gesehen habe, ist es noch stärker geworden. Aber wie soll ich es ihr erklären? Wie soll ich es mir selbst erklären? Ich streiche mit der Hand über das raue Holz des Pfostens.
»I rgendwie …« Die Worte kommen nur langsam aus meinem Mund. »I rgendwie ist mir das nicht genug.«
»W as willst du denn noch?«, fragt Abbie. »D u hast einen interessanten Job, kommst viel in der Welt herum und hast eine Partnerin, die schärfer ist, als die Polizei erlaubt.« Sie hebt den Saum ihres Kleides und entblößt ihr Fußgelenk.
»U nd einen Chef, der meine Hand seinen gemeingefährlichen Schildkröten zum Knabbern hinhält. Plus einen Zimmergenossen, der bis spät in die Nacht wach bleibt, um sich neue Bosheiten für mich auszudenken«, füge ich hinzu.
Nach einem Moment erwidert sie: »A ber du hast keine Wahl. Das ist kein Job, den du einfach kündigen kannst.«
»I ch will das alles nicht mehr … ich möchte eine andere Art Leben«, sage ich und denke dabei an Ben, Jim und Diane.
Abbie schweigt. Ein groß gewachsener Mann, dessen Spazierstock ein Pferdekopf ziert, spaziert gemächlich an uns vorbei und tippt zum Gruß an seinen Hut.
»S ag das nicht«, entgegnet sie schließlich. »W enn du wegläufst und Onkel dich findet … und du weißt, dass er dich irgendwann finden würde …«
Statt weiterzusprechen, malt sie vor meiner Stirn einen Kreis in die Luft. Ein Schauer läuft mir über den Rücken.
»A ußerdem, wenn du abhaust, könnte es sein, dass ich in Zukunft mit der selbstverliebten Lydia ein Team bilden muss, und das würde ich echt keine Sekunde lang aushalten.«
Ich lache und spüre, dass mein Magen sich etwas entspannt. Sollte ich jemals abhauen, dann würde es mir am allerschwersten fallen, Abbie zurückzulassen.
Wir schlendern an der nächsten Hausfassade vorbei. Auf einem Schild steht in großen geschwungenen Lettern NORMANS KOLONIALWARENHANDEL . Im großen Schaufenster ist ein Miniaturschlachtfeld ausgestellt, auf dem hoch aufragende Felsen sowie zwei Armeen zu sehen sind, die mit Gewehren und Bajonetten bewaffnet aufeinander losgehen. Ich schätze, dass dort mindestens einhundert Minisoldaten stehen, alle liebevoll geschnitzt und detailliert ausgearbeitet.
Da kommt mir eine spontane Idee. »K annst du kurz warten, Abbie? Ich muss nur mal eben was überprüfen.«
»K lar, aber bleib nicht zu lange und lass dich nicht wieder ablenken«, sagt Abbie. »S chließlich haben wir noch was bei der Eröffnung von Frisbies Backwaren zu erledigen, erinnerst du dich?«
Wie könnte ich das vergessen? Wir sind hier, um ein ganz bestimmtes Flugobjekt zu erbeuten – die erste Frisbeescheibe der Welt.
Aber wenn ich mir meine Zeit richtig einteile, kann ich meinen Einkauf bei Normans erledigen, einen kurzen Abstecher ins Jahr 1967 machen, dort ein paar Minuten verbringen und
Weitere Kostenlose Bücher