Die Titanic und Herr Berg
Daddy bin, den man sich wünschen kann. Ein Daddy bin ich. Und der beste auch noch. Kunststück, ich erziehe nicht mehr an ihr herum. Ich hole sie am Wochenende pünktlich ab und biete Kulturprogramm, zahle das Kino, wenn sie vorne sitzen will, sitzen wir vorne, obwohl ich lieber hinten sitze. Wenn sie eine Komödie sehen will, sehen wir eine Komödie: zwei Schwarze lieben sich, und er ist in Wahrheit reich, hat aber irgendwie vergessen, es ihr zu sagen. Viel Hip Hop, jemand, der zu schnell redet, und ein Happy End. Ein gerettetes Kinderheim. Ein drolliger Nachbarsjunge. Eine alte Frau, vor der sich niemand ekelt. Ein Kuss.
Linda freut sich jedes Mal, wenn ich unten klingel und sie abhole. Ich küsse ihre Hand zur Begrüßung. Ich schenke ihr eine Rose zum Frauentag und nichts mehr zum Kindertag. Ich frage stets, wie es ihrem Meerschweinchen geht, dessen Name ich nicht weiß. So sind Daddys, die die besten sind. Dafür bekommen sie einen Papporden gebastelt, aus einer leeren Klopapierrolle und Frischhaltefolie. Hier, trag das am Vatertag und lass dich von den Suffköppen auslachen. Linda, das ist die jüngste Frau, die mich liebt, und darauf bin ich stolz, kiek an. Sebastian hat noch keine Antwort von mir bekommen, und er sieht aus, als ob er mich in die Seite knuffen will, so unter Baustellenkollegen, Manne und Horst. Ob ich mit jungen Frauen Erfahrung habe? Komischerweise erst, seit ich alt bin. Als ich jung war, wollten die jungen Frauen nichts von mir und ich spielte allein an mir herum. Darüber können Sebastian und ich gerne in vielen, vielen Jahren reden, gerne auch gar nicht. Ich schicke Sebastian auf mein Zimmer, Salzstangen holen.
«Soll ich Karten mitbringen?»
«Nee, lieber reden», sage ich, und er: «Du erzählst ja nichts.»
«Ich war ja auch nicht im Krieg.»
Als er weg ist, knacke ich mit dem Knie. Hört sich gruselig an. Ich könnte in der Geisterbahn arbeiten, das ist der Knaller. Bald ist Silvester. Überall Knaller. Alle richten Raketen auf den Himmel, als ob sie mit dem Schicksal haderten und der Fügung, die sich von oben auf sie gestülpt hat, in den Arsch schießen wollen. Wäre ich Gott, ich wäre Silvester nicht zu Hause. Wäre ich Gott, wäre der Mensch ein stinkender Haufen Knorpel geworden, der sich anders fortpflanzt, ohne dass es so irre intim sein muss. Nach Silvester bin ich wieder zu Hause. Na und? Und dann? Selbe Praline mit vergammelter Füllung in anderer Schachtel. 20 % mehr Inhalt für nur 25 % mehr Preis. Meine Miete wird Anfang des nächsten Jahres erhöht. Ich will nicht an Berlin denken.
Sebastian ist wieder da und überbringt die frohe Botschaft, dass Linda bald zu uns runterkommt und Hunger hat. Ich habe auch Hunger. Der Bub nicht. Der Bub und ich sitzen zufrieden schweigend zusammen. Das Feuer prasselt sozusagen. Ich denke so lange ans Rauchen, bis ich es nicht mehr aushalte. Man kommt sich viel abhängiger vor, wenn man nicht nachgibt. Sobald man nachgibt, ich stecke mir die Zigarette an, fühlt man sich normal. Man hätte auch nicht rauchen können. Man hätte auch Konzertpianist werden können, ein Bügelbrett, ein Ziegelstein, ein Maurermeister. Ich rauche mich völlig gleichgültig. Sebastian sieht mir so lange zu, bis er es nicht mehr aushält und fragt. Ich gebe ihm eine und auch Feuer und schiebe den Aschenbecher in seine Richtung. Ich habe kein Problem damit, dass er raucht. Er muss seine statistischen sechs Jahre abrauchen und je früher er anfängt, desto früher kann er aufhören. Dann muss er meinen Enkel nicht voll qualmen. Mein Enkel. Opa Peter. Wie konnte das passieren? Wie wird das passieren können? Wie wird das passiert sein können? Der Aschenbecher steht genau in der Mitte des runden Tisches und nichts weiter auf dem Tisch. Sebastian legt die Spielkarten dazu.
«Ich will doch reden», behaupte ich.
«Aber du sagst nichts.»
«Weil ich nicht im Krieg war.»
Sebastian schüttelt den Kopf. «Du bist doch jeden Tag im Krieg. Wer beim Sozialamt arbeitet, kriegt als Erster einen Kopfschuss.»
Mann, Mann, Nachwuchs jetzt auch mit Humor. Von mir hat er das nicht. Als Kind fand er es lustig, wenn ich mir mit einem Holzlöffel so gegen den Hals geschlagen habe, dass es knallt. Das ist kein Humor. Das ist Schadenfreude und Freude, dass man lebt und hören kann und sicherlich auch die Erleichterung des kleinen Knopps, dass Papa nicht Gott ist, sondern ein Mensch wie du und ich – so was steht in Erziehungsbüchern. Die Entthronung der Eltern. Die
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