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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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Königreiche meiner Kinderherzen darf ich nur mit Liebe regieren. So was liest Sylvia. Ich nicht. Und mein Vater hat so was auch nicht gelesen. Er war Großdiktator Arsch, und um mein Herz ging es gar nicht. Wenn mein Vater etwas gesagt hat, donnerten Blitze, ein Gewitter zog auf und genau über mir schwebte ein Kugelblitz, der mich auf Befehl meines Vaters mit Stubenarrest erschlagen konnte. Stubenarrest im Grab, lebenslang, und räum dein Beet auf und putz deinen Grabstein. Bei meiner Mutter schien die Sonne, warm und ohne zu verbrennen. Hier schneit es schon wieder. Sebastian teilt die Karten aus. Er langweilt sich mit mir. Soll ich mir einen Kochlöffel an den Hals schlagen? Ich pupse mit der Achselhöhle. Er lacht nicht. Elitärer Schnösel.
    «Du bist», sagt er.
    «Was?», sage ich. «Ich bin was? Alt? Sprich im ganzen Satz.»
    «Du bist dran.»
    «Dran? Arm dran? Dran mit sterben? Willst du das sagen?» Sebastian ist platt. «Nein», sagt er einfach nur.
    Kaum halt ich mal einen Teil meiner normalen Gedankenpferdchen nicht im Zaum, bekomme ich ein verblüfftes Jungengesicht zurück, welches «Nein» sagt. Warum soll ich ihm also was erzählen, wenn er «Nein» sagt? Sag «Nein» zu deinem Vater. Wenn er lustig ist, lach nicht, sag «Nein». Wenn er mit achtzig die Windeln gewechselt bekommen will, sag «Nein». Wenn es ums Sorgerecht geht und man dich fragt, struppiger, blonder Junge, ob du bei deinem Vater leben willst, sag «Nein». Ruhig Alter, flüster ich mir zu, ruhig, er war doch erst sechs Jahre alt. Du warst der Mann, bei dem es geblitzt und gedonnert hat und bei Mama schien die Sonne. Ich verliere wieder.
    «Maumau», sagt Sebastian und nimmt mir meine restlichen Karten aus der Hand, als wäre ich ein Tattergreis, mischt schnell und ohne hinzusehen und gibt wieder aus. Eine für dich, eine für Papa, eine für Mama, eine für die Schwester.
    «Was schenkst du deiner Schwester zu Weihnachten?»
    «Linda?»
    «Ja, die Schwester von dir, die Linda heißt, meine ich.»
    Er zuckt die Schultern. «Ich schenk ihr irgendwas, was glitzert.» Er legt die erste Karte ab, obwohl ich dran bin, aber es liegt ein Ass da. Ich muss aussetzen. Mir fällt nur eine Pistole ein, die glitzert.
    «Ist sie ’ne Elster, oder was?», frage ich und freu mich, dass ich drei Siebenen habe. Damit kann ich gewinnen. All meine Wünsche und Träume werden in dem Moment in Erfüllung gehen, in dem ich «Maumau» sage. Sebastian nickt, weil Linda eine Elster ist.
    «Klaut sie auch?», will ich wissen.
    Er zuckt wieder die Schultern, sagt: «Weiß nicht, steht nicht in ihrem Tagebuch», und zieht ohne mit der Wimper zu zucken alle acht Karten, weil alle vier Siebenen für ihn bestimmt sind. Es ist ihm so gleichgültig, ob er gewinnt oder verliert, ob seine Schwester klaut oder in ihr Tagebuch Geheimnisse schreibt, ob er vielleicht ein Arsch ist. Ich lege die letzte Karte ab, sage «Maumau», und es fühlt sich nicht so erhebend an. Ich schicke ihn zur Bar, neues Bier holen. Ruhig, Alter, sag ich mir, nimm dir ein Beispiel an deinem Stammhalter, is egal, alles is egal. Die Mauer zwischen euch ist nur aus Schutt gestapelt. Sie ist improvisiert von Maurern in der Ausbildung, kann eingerissen werden. Kein Mörtel, kein Putz, wir können von beiden Seiten durchkucken, und wenn der Bub dreißig ist, werden wir uns teuren Alkohol schenken und umarmen, dann wird er angekrochen kommen. Erst mal kommt er angelaufen, schlackert mit dem Oberkörper. Er hat mit der Kellnerin länger geredet, und jetzt will er mit ihr tanzen gehen. Ich stecke mir eine Zigarette an, und er will auch eine. Ich muss so viel entscheiden. Zigarette: ja-nein, tanzen gehen: ja-nein.
    «Kauf dir selber welche», sage ich zu ihm. Er sagt, er hätte kein Geld.
    «Dann klau dir welche.» Ich gebe ihm die Erlaubnis, bis in die Puppen mit der Puppe herumzuhopsen, und Geld gebe ich ihm auch. Zum Abschied sage ich: «Tu, was du willst.» Er bläst die Backen auf und geht. Ich ärgere mich, dass ich gesagt habe, er solle tun, was er will. Das klingt zu gleichgültig dafür, dass ich sagen wollte, du darfst tun, was du willst, du bist alt genug, ich bin cool genug und ich habe dich lieb, kämm dir die Haare, pack ein Taschentuch ein und benutze Kondome. Ich ärgere mich. So wie als ich mal in einem Theaterstück war. Es ging um Kühe, seltsames Thema. Ich habe danach: «Muh!» gerufen, weil ich witzig sein wollte. Das Stück war sehr witzig und ich rief: «Muh!» und alle drehten

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