Die Titanic und Herr Berg
Seltsames mehr. Welche Zutat ich am liebsten an den Reichstag werfen würde. Was ich machen würde, wenn ich Diabetes hätte und mir jemand Puderzucker in den Drink mixt. Sie fragt nichts. Sie fragt an der Tür noch etwas und klatscht mir den Satz nochmal um die Ohren. Ich liebe dich. Ein Satz wie die Rote Arme Fraktion. Ich sage inhaltlich nee. Nee, Tanja, da hast du dich geirrt. Mächtig gewaltig. Ich weiß nicht, wie sie schaut. Ich kann es nicht einschätzen. Sicherlich ist sie enttäuscht und traurig und ich bin schuld. Ich fahre am Mittwoch in Urlaub. Schöne Bescherung! Ja, auch über Silvester. Bis später, Peter! Bis dann ja, Tanja!
In einem Moment von völligem Glück sage ich es ihm: Da, nimm! Ich halte dabei seinen Kopf: Da, friss! Ich liebe dich: Da, schluck! Er macht ein Trickfilmgesicht wie schon in der Nacht, als ich ihm gesagt habe, ich könnte es ihm sagen. Da sind ihm die Augen raus gesprungen, mit Sprungfedern hintendran, sie sind zurück geschnellt und durch den Aufprall schoss ihm die Zunge aus dem Mund, rollte sich wie ein roter Teppich durch mein Zimmer und an der gegenüberliegenden Wand hoch. Als ich ihm sage, dass es so ist, denn so ist es, ich liebe ihn, da wird seine Haut ein Gemäuer und bröckelt weg. Die Steine liegen in meinem Bett. Wie alt er aussieht, wenn er sich nicht wehren kann.
Mein Körper hat die ganze Nacht «Ja» zu ihm gesagt, alles ja. Ich mag sogar, dass er mich anatmet beim Ausatmen. Das mochte ich noch nie bei jemandem, nie. Die Eskimos mögen das, Eskimokuss. Sie reiben ihre Nasen aneinander, um einzuatmen, was der andere ausatmet, weil das intim ist, ist es. Ich küsse ihn auf jede Art und Weise, die es gibt, gerne. Alles «Ja» und dann sagt er «Nee». Ich hätte mich geirrt. Da hat er sich geirrt. Dann ist er weg.
Ich bin glücklich, weil er meine Handgelenke umfasst hat, seine Hände als meine Pulswärmer. Er hat mich gehalten, jetzt soll er halten, was er nicht versprochen hat. Er kommt in mein Leben gerast und macht einen Verkehrsunfall, fährt mich an, hupt und will Fahrerflucht begehen. So ein Peter! Mit Nachnamen heißt er Berg, das weiß ich jetzt, den erklimme ich. Ich bin obenauf. Das Gipfelbuch ist geklaut, Schweinerei! Das wird nachgeholt. Ich trage mich in dein Gipfelbuch ein, Peter. Geh jetzt weg! Komm wieder! Schöne Weihnachten! Ich liebe dich. Ich habe seine Knie noch nie angefasst. Das muss ich nächstes Mal machen und fragen, ob Zorro sein Kindheitsheld war, ob er sich mal was gebrochen hat. Warum er mir nicht sagt, dass er mich liebt.
Mein Nachbar hört sehr laut Musik. Ich höre nicht mal mehr meinen Kühlschrank brummen. Ti aaamo, ti amo, ti aaamo. Petermännchen, feiges Stück. In ein paar Tagen fährt er weg. Bis dahin wird sich alles noch klären. Ein «Nee» im Türrahmen ist nicht hinnehmbar. Ab – ge – lehnt!, rufe ich, denn ti aaamo, ti amo, ti aaamo. Ich bin aufgedreht wie Knallkörper. Ich räume meine Küche auf. Wir haben gestern Abend Essen bestellt. Ich habe eine Bissspur am Hüftknochen, die fotografiere ich. Ich habe ein in Wellen geficktes Laken, das fotografiere ich. Ich habe ein glückliches Gesicht. Ein «Nee» ist kein Weltuntergang, nicht mal ein «Nein», nur drei Buchstaben, so klein, dass es verschwindet, wenn ein bisschen Wind weht.
Er stand im braun lackierten Türrahmen und sagte «Nee». Geh jetzt! Du kannst es doch zugeben. Ich tu dir nichts. Ich lasse dich, wie ich dich vorgefunden habe. Nachdem die Küche sauber ist, stehe ich dumm da mit dem angefangenen Samstag. Ich vermisse ihn. Er hat meine Wohnung voll gerochen. Mein Nachbar hört inzwischen Abba. Mein Nachbar ist sehr dick. Ich muss lachen, bei der Vorstellung, wie er mit seiner Frau zu Dancing Queen im eichenvertäfelten Wohnzimmer tanzt. Richtig laut muss ich da lachen.
Was nun? Ich muss meine wichtigen Sachen mal erledigen. Ich krame die Formulare unterm Teppich hervor. Als Peter das erste Mal hier war, habe ich sie drunter geschoben, ewig lange her. Es sind noch dieselben. GEZ-Gebühren – nein, ich habe kein Radio. Wohngeldantrag – ich weiß nicht, wann das Haus gebaut wurde. Krankenkasse – nein, ich beziehe keine Kriegsversehrtenrente. Es sind noch ein paar Mahnungen dazugekommen und eine Telefonrechnung. Ich rufe Frank an. Er ist nicht da. Ich muss mit ihm Schluss machen. Ich rufe Holger an. Er ist da. Er lädt mich zum Brunch ein. Bis er bei mir ist, dusche ich den Geruch von Peter ab. Ich denke sonst, ich bin er, wenn ich wie er
Weitere Kostenlose Bücher