Die Titanic und Herr Berg
Kontakt zu Menschen. Ich gehe nicht oft aus. Ich bin es darum nicht gewöhnt, abends Gesellschaft zu haben. Ich wichse ins Badewasser. Es gibt Geileres. Bestimmt gibt es Geileres. Irgendwo. In Berlin.
Ich trockne mich ab und übergebe mich der Welt. Die Kinder und ich spielen Maumau um Streichhölzer und trinken Kakao mit Milchpelle. Manchmal ein Bier für die Männer. Sebastian rasiert sich schon. Ich hatte wesentlich später Bartwuchs als er. Linda rasiert sich die Beine und unter den Achseln. Ich verliere fast jedes Spiel, muss zwei ziehen, bei einem Ass aussetzen und darf mir nichts wünschen.
«Pech im Spiel, Glück in der Liebe», sagt Linda. Ganz selten habe ich einen Ober, um mir etwas zu wünschen. Ich wünsche mir, dass ich wüsste, was sich die Kinder zu Weihnachten wünschen. Sie schreiben keine Wunschzettel mehr. Was wollen die? Was wollen die von mir? Aufmerksamkeit? Ich höre ihnen endlos zu und filter nach Informationen, was ich ihnen schenken könnte. Linda will einen Jungen aus ihrer Klasse, namens Andreas. Klar, kauf ich ihr. Sebastian will, dass ein Ruck durchs Land geht. Klar, hier, ein Ruck. Vielleicht schenke ich ihm einen Rucksack. Er will alles anders als jetzt, aber weiß nicht wie. Normal in seinem Alter. Er findet, die Erwachsenen sind schuld und findet, dass er schon erwachsen ist. Normal mit 17. Er will nicht zum Bund. Alles normal. Wir sind eine normale Familie. Komm, mein Junge, Papilein öffnet dir dein Bier mit dem Feuerzeug. Ich trockne mich ab. Ich ziehe mir eine Jeans und einen schwarzen Pullover an und gehe runter in den Aufenthaltsraum. Dort ist ein Kamin, und wir können davor sitzen, mit mildem Licht auf den ähnlichen Gesichtern, und uns freuen über irgendwas, weiß ich, worüber man sich so freut. Sebastian sitzt schon da und liest. Nachdem er mir erzählt hat, wovon das Buch handelt, reden wir darüber, wie ich mit 17 war. Ich weiß es nicht mehr. Ein Hirni mit Filz im Kopp. Unendlich verliebt in Nadine Bäuerle. Gut in Englisch und schlecht in dem Rest. Gut in Handball und schlecht in dem Rest. Nadine Bäuerle hat mich nicht mit dem Arsch angesehen. Jahrelang hab ich schräg hinter ihr gesessen und ihre Zopfgummis beneidet. Ich weiß eher, wie Nadine war: freundlich, fleißig, still. Wie war ich? Ich weiß es nicht. Ein Irgendwer im Mittelmeer. Lange her.
«Ich war wie du», sage ich zu Sebastian, und der freut sich. Ich weiß auch nicht, wie er ist, und da ich nicht mehr weiß, wie ich war, ist er wie ich. Und mein Vater ist wie ich und du bist wie mein Vater. Du bist der Stammhalter, kleiner Abiturient.
«Wo ist denn deine Schwester?»
«Linda?»
«Ja, die Schwester von dir, die Linda heißt.»
«Die schreibt Tagebuch.»
Wir wollen beide darüber lachen, trauen uns aber nicht. Also sage ich: «Ich liebe Andreas, ich liebe Andreas, ich liebe Andreas.» Wir lachen.
Sebastian holt neues Bier von der Bar. Ich kann ihn beobachten, wie er schlendert. Sylvia sagt, er wird mal ein richtig schöner Mann. Sebastian lehnt sich an den Tresen und wartet, bis das Bier gezapft ist. Die Barfrau findet ihn süß, und er merkt es nicht. Er nimmt das Bier und grinst mich an, anstelle der italienischen Maus. Er kann sogar ein bisschen Italienisch, aber er kommt zu mir und lässt sich in den Korbsessel fallen. «Prost!», sagt er.
«Prost!» Ich trinke in großen Schlucken. Dann kann er gleich nochmal zur Bar gehen.
«Die mag dich», sage ich und zeige mit dem Kopf in Richtung Bar. Er ist überrascht, über mich, über die Information und darüber, dass die Information von mir kommt. Das sind ja gleich drei Überraschungen auf einmal. Tja, Väterüberraschung mit Spaß, Spiel und Kinderschokolade. Er glaubt mir anscheinend nicht, sein Bubigesicht legt sich in Falten. Er sieht zur Bar, und die Barfrau sieht zu ihm. Vielleicht ist ihr mein Sohn erst jetzt aufgefallen und sie findet ihn erst jetzt süß, aber das ist ja egal.
«Ich glaube, die mag DICH», sagt Sebastian. Er grinst frech, dummfrech, aber charmant. Wo er das herhat? So was hätte ich zu meinem fetten, trägen Vater nie gesagt.
«Die ist doch zu jung», sage ich, «in dem Alter verlieben die sich immer.» Nun ist es zu spät, der Satz ist gesagt. Der Satz wurde gehört.
Sebastian zieht die Augenbrauen bis zum Anschlag hoch. «Hast Erfahrung?» Der traut sich was. Was weiß er? Woher soll er was wissen? Ich schreibe ja nicht Tagebuch und lasse es offen herumliegen. Bei Linda stand letztens drin, dass ich der beste
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