Die Titanic und Herr Berg
offne, geschlossne, und ich habe mich davor gedrückt, sie zu besuchen. Da bin ich der Falsche für, echt.
Ich bin da. Ich schalte das Horoskopgelaber ab, welcher Aszendent in welchem Mond, brat mir einer ’nen Storch, so eine Gülle! Ulrike wohnt im Erdgeschoss, die Fenster sind mit diesem von Kinderhand geschöpften Japanpapier abgeklebt, dahinter ist kein Licht. Ulrike sagte am Telefon, dass im Hof gefeiert wird. Dafür ist es zu kalt, aber vielleicht gibt es ein Feuerchen zum Drumrumtanzen. Ich klingel mehrmals. Es steht noch Ulrikes alter Name am Klingelschild. Der neue Name ist Weber. Ulrike sagte mir, sie habe ihren ersten Mann dieses Jahr geheiratet. Herrn Kai Weber. Darüber kann ich nachdenken, während ich ums Haus gehe, um in den Hof zu gelangen. Der erste Mann … das stimmt so nicht, ich war doch vorher, ich bin doch ein Mann, weil ich doch Vogelhäuschen an Bäumen aufhängen kann, so schauts, ich habe einen Schwanz, der immer in die falsche Richtung wedelt und ich will gelten. Der erste Mann dieses Jahr … das kann natürlich sein, so alt ist das Jahr noch nicht. Ich hatte noch gar keine Frau dieses Jahr. Aber wie Ulrike es formuliert hat, dass sie ihren ersten Mann dieses Jahr geheiratet hat, das hörte sich für mich so an, als ob sie noch drei weitere Männer dieses Jahr heiraten will.
Im Hof ist niemand. Der Sandkasten ist mit einer Plane zugedeckt. Die Plane wird von Pflastersteinen gehalten, und in der Mitte der Plane ist eine Pfütze zusammengelaufen, die nachts wahrscheinlich immer wieder gefriert und dann im Verlaufe des Tages taut. Das ist auch ein geregelter Tagesablauf, wie meiner, das vergisst man in der menschlichen Arroganz manchmal. Pfützen haben auch ein Leben. In der Pfütze schwimmt eine gelbe Hälfte von so einem Überraschungsei. Ich habe die Dinger schon immer gehasst. Nur aus diesem Grund wäre ich gerne in der DDR aufgewachsen, nur um keine kleinen Exhibitionistenmännchen mit Rädern zusammenzustecken, deren Mantel auf und zu geht, wenn man die Figur über den Tisch schiebt. Außerdem hatte ich immer Angst, ein kleines Teil zu verschlucken, weil davor so gewarnt wurde.
Neben dem Sandkasten steht ein Bauzaun, an den ein Fahrrad ohne Sattel angeschlossen ist. Es ist alles normal, nur keine Party. Die Verandatür zu Ulrikes Wohnung ist offen, also steige ich über den kleinen Zaun und zertrete einen Strauch mit Dornen, bleibe mit der Hose hängen, aber fluche nicht. Da bin ich stolz drauf. Prima, das sind doch Fortschritte, Herr Berg, wenn Sie sich nicht mehr so viel aufregen, sterben Sie vielleicht an etwas anderem als Herzinfarkt. Das ist doch eine Aussicht, und jetzt hör ich auf mich zu siezen, denn ich kann mich mal ichen.
Auf der Veranda liegt ein Weihnachtsbaum, aber ohne Lamettareste, natur und vertrocknet, wie er abgesägt wurde in der Blüte seines Lebens. Ich schiebe die Verandatür auf und gehe in die Wohnung, die saukalt ist. Herein, herein, bring Dreck hinein. An meinen Schuhen klebt Schlamm und dann klebt der Schlamm am Teppich, aber das kann nicht so schlimm sein, da ist schon anderer Dreck. Fußspuren und eine Pflanze, die wie in Ohnmacht gefallen neben dem Esstisch liegt. Der Übertopf ist zerbrochen. Die Pflanze scheint sich vom Tisch gestürzt zu haben. Selbstmord ist oft dreckig. Ich schließe die Verandatür, drehe die Heizung auf und klatsche in die Hände. Tolle Übersprungshandlung aber auch! So, die Party kann losgehen. Ich rufe nach Ulrike, aber wie soll sie auch antworten, wenn sie tot in einer Ecke liegt? Mir war schon mal wohler, ich kann mich dran erinnern, das fühlt sich anders an. In der Stube ist keine Leiche, ich bin der einzige Gast. Herzlichen Glückwunsch! Ich gehe in den Flur und sehe mich im Garderobenspiegel mit dem Blumenstrauß. Das sieht so blöd aus. Auf dem Boden neben der Garderobe liegen vier Paar Schuhe, die an den Schnürsenkeln verknotet sind. Irgendeinen Sinn wird das schon haben, muss ja. Da werde ich gleich mal morgen Jürgen fragen, der kann es sicher erklären, der wird’s wissen, der Racker. Dann weiß er vielleicht auch, warum die Jackenärmel der Cordjacke, die an der Garderobe hängt, ebenfalls verknotet sind. Ich will jetzt nicht an Jürgen denken, sondern an Ulrike und an ihre Tochter. Ich weiß ihren Namen gerade nicht, irgendwas mit B.
Im Kinderzimmer liegen Malstifte auf dem kleinen Tisch. Ein Stuhl ist umgefallen, damit ich mir vorstellen kann, wie B. vom Stuhl weggerissen wurde und jetzt in einer blauen
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