Die Titanic und Herr Berg
mehr. Ulrike sagt, dass sie ihren Familienbetreuer sprechen will, sie sei die Tochter von Herrmann Palade, die Ehefrau von Kai Weber.
An der Pressspanplatte klebt von außen ein Brief vom Bezirksamt. Der Umschlag ist zartbraun. Mir kackt das Herz ab. Ich habe auch manchmal Angst. Auch Männer haben Angst, wenn sie Kinder zeugen, Bäume pflanzen und Soldaten anführen und vor allem die Sache mit den Vogelhäuschen. Huijuijui. Ulrike ist barfuß und zittert. Ich muss sie ansprechen, hilft ja nichts.
Sie sagt: «Ich bin Ulrike Weber. Wegen einer Strafanzeige, Kindsentführung, ja, vom Familienamt entführt. Ich bin die Tochter von Herrmann Palade, die Ehefrau von Kai Weber.»
Ich spreche sie an. Ich lege ihr meine Hand auf die Schulter, wie ich es im Erste-Hilfe-Kurs gelernt habe, Kontakt aufnehmen. Da sie nicht auf ihren Namen reagiert, ist es eben nicht Ulrike. Kombiniere: ich kann nicht helfen. Es gibt keine Hilfe. Alles, was passieren wird, ist Klapse, Klapse, Klapse, Hölle, Hölle, Hölle. Ihre Tochter heißt Jasmin, ich kann mich auf einmal daran erinnern. Jasmin war schon mal in einer anderen Familie, und das ist vielleicht auch besser so. Ich kann das überhaupt nicht entscheiden, kein Stück, kein Pups, nix. Dafür bin ich überhaupt nicht zuständig. Ich bin schon weg. Ich gehe an ihr vorbei. Das ist nicht Ulrike, aber ich bin immer noch Peter. Sie ruft mir hinterher: «Willst du schon gehen, Peter? Es hat doch noch gar nicht angefangen. Die anderen sind doch noch gar nicht da.»
Gut, dass es so eine Erfindung wie «die anderen» gibt. Sollen sich «die anderen» drum kümmern. Ich habe Feierabend, oder Jürgen, ist doch so! In mir knackt es, als ob was bricht, ganz leise, und ich glaube, Glaube zerbricht lauter.
Ich gehe zu meiner ersten Frau dieses Jahr und habe immer noch die Blumen.
Und dann ist er wieder da, als wäre er nicht weg gewesen, war er aber, und als ob er hierher gehört, gehört er, und als ob ich um seinen Schwanz herum gehöre, gehöre ich. Er ist wieder da, als ob wir auf etwas aufbauen, ein Fundament aus Stahl, stabil. Und auf dem Fundament entsteht ein Haus, komplett mit Matratzen ausgelegt, komplett. Wir werden in dem Haus Liebe und Sex machen, eine Matratze nach der anderen wird fleckig, wir werden die Wände bespritzen, die Laken in Wellen schieben und Knöpfe abbeißen. Er ist wieder da und geht durch weit geöffnete Türen, mein Klingelknopf schwillt rot, er. Er hat mir Blumen mitgebracht, und sich hat er mitgebracht, komplett, mit Haaren auf der Brust und Haaren auf dem Rücken und dazwischen der ganze Oberkörper voller Filz, weil die Haare durch ihn durchgehen. Er ist wie ein Teddy ausgestopft und wenn er umfällt, sagt er nicht «Bääär», sondern «Petääär», oder meinen Namen, oder unseren Namen, wir. Er bringt Blumen mit, aber keinen lüsternen Blick. Er ist schmal und abwesend. Ich kann ihm leider nicht ansehen, was er hier will. Sein Gesicht springt mich nicht an. Ich könnte ihn auch fragen: «Was wollen Sie?», aber ich weiß ja, was ich will. Das reicht. Ihn nämlich. Und da ist er.
Er steht in der Tür, sagt: «Na?» Er tobt nicht über mich wie ein Gewitter und regnet ab. Ich dachte, er kommt voller Samen, voller Liebe, voller Freude. Aber er ist blass und abwesend, ja. Ich bin nicht enttäuscht, nein. Er kann mich nicht enttäuschen, auch wenn er sich noch so viel Mühe gibt. Ich weiß ja, was ich will, und das fühlt sich an wie Fieber, und Fieber ist ansteckend. Ich will überall, wo sein Körper ein Dazwischen zulässt, dazwischen, Heimkehrer. Und ich will dir an deinen Filz in der Brust, Heimsuchung. Und ein Bier habe ich auch für dich da. Da! Er trinkt sein Bier. Peter erzählt, dass das Hotel schön war und dass Silvester im Hotel eine Feier war, bei der er nicht teilnehmen konnte, weil er sich krank fühlte. Er sagt nicht, dass er krank war. Ich fühlte mich Silvester auch krank. Sehnsucht. Nächstes Jahr legen wir uns zusammen in die Badewanne.
Wir reden, bis Peter auf die Uhr schaut und sagt, dass er morgen früh raus muss. Also müssen wir jetzt schlafen gehen. Ich glaube nicht, dass wir schlafen gehen. Wir gehen nicht schlafen, nein, denn geschlafen habe ich fast drei Wochen. Ich bin wach, ja. Wir werden miteinander schlafen, ja. Wir ziehen uns ein bisschen aus, nicht ganz, jeder sich selber. Das ist schön, selbstverständlich und ruhig. Alles fühlt sich echt an. In mir trommelt nicht die Aufregung. Alles ist echt. Wir liegen nebeneinander.
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