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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Fuchs
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aber die wünsche ich mir gar nicht, nein, nie wieder.
    Ich umarme die Mutter von Ina, und sie drückt mich tief in ihre Brust.
    Der Vater sagt: «Tanja, Tanja.»
    Ich sage: «Herr Gehrmann, Herr Gehrmann.»
    Wir lachen.
    Inas Geschenk für mich ist recht groß. Ich bin gespannt, wirklich. Es sind Gummihandschuhe, ein bunter Staubwedel und einige Flaschen Putzmittel. Ina lacht und zeigt auf einen Umschlag, der von innen an das rote Verpackungspapier geklebt ist. Ich habe einen Putzjob. Ina behauptet, ich hätte mal behauptet, ich suche einen Putzjob. Kann sein, wahrscheinlich. Ich drücke Ina, und sie erklärt mir, dass das Freunde von ihren Eltern sind.
    Am meisten freue ich mich über das Geschenk von Enrico. Es ist ein Eierschneider, mit dem ich Musik machen kann. Dann schauen wir Fernsehen und essen alles quer durcheinander und trinken alles quer durcheinander. Wenn ich nicht bei Peter sein kann, kann ich auch hier sein.

acht
    Heute ist mein erster Arbeitstag nach dem Urlaub und das ist scheiße, Amen. Als wäre ich nicht weg gewesen, und als wäre nicht Weihnachten gewesen. Warum haben sich die Armen nicht viel Geld schenken lassen? Herrgott, Herrgott nochmal, wo bist du und warum interessierst du dich für den ganzen Schnee nicht? In Berlin liegt kein Schnee. Als ob nicht ein neues Jahr wäre.
    Im Flur werden Stühle geschoben, wenn die ganze Familie zusammensitzen will: Papa-Soz, Mama-Soz und Tochter-Soz. Tochter-Soz geht rauchen und währenddessen verfällt ihre Wartenummer. Gibt es ein größeres Elend? Always dasselbe. Wieso tue ich etwas, was nichts ändert und wieso ändert sich nichts, wenn ich etwas tue? Ich bin doch ein Mann. Ich kann doch Kinder zeugen und von meinem Weltbild überzeugen. Ich kann doch Soldaten anführen und Bäume pflanzen und an die Bäume kann ich doch Vogelhäuschen schrauben mit Kreuzschlitzschrauben. Das kann ich doch alles und ich sitze hier mit meinem Fremdkörper an einem aufgeräumten Tisch, gegenüber sitzen noch fremdere Fremdkörper, wollen was von mir, was mir egal ist. Junger Mann – armes Würstchen, alter Mann – stinkt, alter Mann – stinkt nicht, alte Frau – Kopftuch. Keine junge Frau, wenigstens das nicht, und dann ist Mittagspause.
    Ich habe ab mittags frei genommen. Zur Abwechslung gehe ich heute mal mit den Kollegen essen, obwohl mir da immer der Appetit vergeht. Blöde Kollegen sind ’ne gute Diät. Ich esse einen Salat. Die Kollegen unken gleich wieder rum, ob ich den Weihnachtsspeck loswerden muss. Als wie wenn ich auch nur ein paar Sekunden in meinem Leben zu dick war. «Als wie wenn» hat Ursel immer gesagt, in ihrer herrlichen Sprachanarchie in der Freizeit. Sie ist Deutschlehrerin und hat es genossen, Grammatik falsch zu verwenden zu tun. Aber, lass mich raten, Peter, an Ursel willst du jetzt nicht denken? So schauts! Das sagt Sylvia manchmal, aber auch an die willst du jetzt nicht denken, oder? Nicht wirklich, wie Tanja manchmal sagt. Ach, so viele Menschen, an die ich nicht denken will. Ich will gar nicht denken und es hilft mir, dass die Kollegen über Silvester reden. Sie prahlen mit absturzarmen Feiern mit Wolfgang Petri zum Büfett. Das ist doch Hölle, Hölle, Hölle. Ich sage nichts, esse meinen Salat und ziehe dann meine Jacke an.
    «Wattn Hausbesuche, oder?», fragt Jürgen.
    «Nein, frei genommen», sage ich, und meine Stimme kommt wie von einer Schellackplatte. Ich kann Jürgen nicht ab. Jürgen ist blöd und dumm. Eine ungünstige Mischung, und er ist auch noch stolz darauf. Wenn er was erzählt, dann mit wildem Gestikulieren und so laut, dass alle ihm zuhören müssen und nicken. Er kann die Welt so schlicht erklären, dass man abhängig davon werden könnte. Man könnte davon glücklich werden, weil alles einen Sinn ergibt. Er erzählt immer dieselben Leiern, die leiern davon noch mehr aus, aber alle nicken. Jürgen sagt, Männer und Frauen passen halt nicht zusammen, Frauen sind wie Katzen und kratzen, wenn man sie streichelt, und Hitler hat die Autobahn alleine gebaut. Und dann hängt er einen Bestätigungswunsch an seine Sätze. Ist doch so? Oder? Hab ich Recht? Na, ist doch so!
    Wir nicken. Da ich selbst nicke, kann ich nur hoffen, dass die anderen auch nur so nicken, weil ihnen der Kopf von so viel Schwachsinn schwer wird. So einfach ist gar nichts. Männer und Frauen passen genauso wenig zusammen wie Männer und Männer und überhaupt alle Menschen. Katzen kratzen aus sehr guten Gründen und Frauen kratzen gar nicht, auch nicht

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