Die Tochter der Dirne
nie wirklich ganz gehört. Wenn er sie jetzt hasste, dann nicht wegen ihrer Vergangenheit oder ihrer Mutter. Er hasste sie für das, was sie getan hatte.
Sie wollte den Arm um seine Taille legen und sein Herz ein letztes Mal schlagen hören, aber die Kluft zwischen ihnen schien unüberbrückbar. „Die ganze Zeit über hast du meine Liebe verlangt, aber du weißt gar nichts darüber. Die Liebe folgt ihren eigenen Gesetzen, Justin, und deine Gesetze kümmern sie nicht.“
Ohne ein Wort wandte er sich ab, so kalt und unnahbar wie am ersten Tag, da sie ihn gesehen hatte.
Sie schloss die Augen, unfähig, ihm nachzusehen, und wartete auf das Geräusch der sich schließenden Tür. Es dauerte eine Weile, bis es kam.
„Auf Wiedersehen, Solay.“
Sie antwortete nicht. Es gab nichts zu sagen.
30. KAPITEL
Während der nächsten zwei Monate, solange die Lords ihre Männer sammelten, um Hibernias Armee aufzuhalten, vermochte Justin nicht zu denken, nur zu fühlen.
Die Wut auf sie, auf die Welt, auf den König, sogar auf Gloucester, toste in seinen Adern und war der Antrieb bei seinen Vorbereitungen auf die Schlacht.
Ihr Verrat schmerzte ihn mehr als ein Schwerthieb. Er war überzeugt gewesen von ihrer Liebe und war der Versuchung erlegen, ihr zu glauben. Wegen ihres Verrats zogen sie jetzt aus, um Hibernia auf dem Schlachtfeld zu bekämpfen anstatt vor Gericht.
Und wenn er sich gelegentlich daran erinnerte, dass er ihrem Teufelspakt sein Leben verdankte, so schob er diesen Gedanken beiseite.
Doch in den dunklen Stunden der Nacht, wenn die winterlichen Sterne über die schlafenden Soldaten wachten und nicht einmal seine Erschöpfung ihm Ruhe verschaffte, erinnerte er sich wieder daran, wie er bei ihr, umschlungen von ihren Armen, Verzeihung gefunden hatte.
Und dann wurde dieses Bild verdrängt von den letzten zornigen Worten.
Immer und immer wieder sah er die Szene vor sich, bis das Klirren der Schwerter und das Klappern der Schilde die Wahrheit nicht mehr übertönen konnten. Du willst gar keine Liebe. Du willst Liebe zu deinen eigenen Bedingungen. Die Liebe folgt ihren eigenen Gesetzen, Justin, und deine Gesetze kümmern sie nicht.
Aus der Dunkelheit hörte er die Antwort. Es war nicht ihre Schuld allein. Als sie ihre eigenen Entscheidungen getroffen hatte, ohne sich von seiner Meinung beeindrucken zu lassen, hatte er sie gnadenlos niedergemacht. Stattdessen hätte er sich lieber die Zunge herausreißen sollen.
Während der ganzen Zeit, da er darauf bestanden hatte, sie müsste ihm ihre Liebe beweisen, hatte er nichts getan, um diese zu verdienen.
Daher schritt er auf den letzten Kampf zu und hoffte, eine Klinge würde ihn treffen, denn er wollte nicht mehr leben ohne sie.
Und das Einzige, was ihn noch am Leben hielt, war das Wissen, dass es noch etwas gab, was er für sie tun musste.
Als sie hörte, wie sich ein Pferd näherte, die Schritte gedämpft vom Dezemberschnee, legte Solay ihre Pastete nieder.
Sie saßen im oberen Gemach um das einzige Feuer im Haus, und über Janes Kopf hinweg tauschte sie einen Blick mit ihrer Mutter. Wer würde am Weihnachtstag zu ihnen kommen? Das Land befand sich im Krieg, und marodierende Söldner bedrohten die Zivilisten genauso wie die Soldaten.
Doch als sie die Läden öffnete, hoffte sie, wie immer, Justin zu sehen.
Unter der fahlen Nachmittagssonne bedeckte ein weißes Tuch die kalte Erde. Sie dachte, dass Justin der Schnee gefallen würde, und sie fragte sich, wohin er wohl marschierte und ob ihm wohl kalt war. Betete, dass er in Sicherheit war.
Sie schüttelte die Gedanken ab. Lieber sollte sie sich überlegen, wie sie einen anderen Mann zu einer Ehe mit ihr bringen konnte. Oder zu weniger als das. Nachdem Justin sie verstoßen hatte, würde es nicht einmal mehr leicht sein, einen Mann zu finden, der sie als Geliebte wollte.
„Ist er es?“, fragte ihre Mutter, und ihre Stimme klang sanft und mitleidig. Sie waren einander während der letzten Monate sehr nahegekommen, verbunden durch die törichten Dinge, die sie beide um der Liebe willen getan hatten.
Solay schüttelte den Kopf. „Es ist ein Reiter. Allein.“ Sie sah genauer hin und holte tief Luft. „Er kommt vom König.“
Als er an die Vordertür klopfte, stand ihre Mutter auf. „Jane, entzünde unten ein Feuer. Solay, führe ihn in die Halle. Wir müssen den Boten des Königs mit allen Ehren empfangen. Was wird er von uns denken, wenn wir ihm kein Wildschwein am Weihnachtsabend servieren?“
Unten
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