Die Tochter der Dirne
so bliebe.
Sie lief ihm nach, und als sie ihn eingeholt hatte, berührte sie ihn am Rücken. „Wartet, bitte. Ich wollte Euch danken.“
Er drehte sich um, sein Blick war kalt. „Wofür?“
„Dafür, dass Ihr mirvon der Wäscherin erzählt habt. Sie wusste, wann Jane geboren wurde.“
Ein Lächeln ließ seine Züge wieder weicher erscheinen. „An welchem Tag war es?“
„Zwei Tage nach Mariä Lichtmess.“ Sie lächelte. In kaum mehr als zehn Tagen konnte Jane feiern.
„Und Jane liebt den Schnee.“
„Woher wisst Ihr das?“
Diesmal wirkte sein Lächeln nicht jungenhaft heiter, sondern triumphierend. „Ihr wurdet im Sommer geboren, und man nannte Euch Solay.“ Er wandte sich wieder zur Tür.
„Wartet!“
Er hielt inne und versperrte die Tür, als würde er gern draußen bleiben in der Kälte. Sie erschauerte. Fröstelnd wünschte sie sich, sie wäre ihm zum Reden nach drinnen gefolgt. „Würdet Ihr heute Abend gern Mühle spielen?“
Er schüttelte den Kopf. „Morgen muss ich nach Westminster abreisen.“
Bei der Erwähnung des verhassten Namens zuckte sie zusammen. „Wie lange werdet Ihr fort sein?“ Jeder Tag, den sie getrennt verbrachten, fehlte ihr für ihre Überzeugungsversuche.
„Weit über das Ende der Fastenzeit hinaus.“
Sie lächelte, um ihre Furcht zu verbergen. „Wenn der König einverstanden ist, würde ich gern mitkommen.“ Natürlich wäre der König einverstanden. Er erwartete von ihr einen Bericht über jeden von Justins Schritten.
„Als ich eben Westminster erwähnte, zucktet Ihr zusammen. Ihr habt nicht den Wunsch, mit mir zu kommen, außer um mit dem vergeblichen Bemühen fortzufahren, mich von Eurer Liebe zu überzeugen. Bleibt hier und findet einen Ehemann, den Ihr halten könnt.“
Wie konnte er sie so leicht durchschauen? „Ich habe nur geblinzelt, um eine Schneeflocke wegzuwischen. Wirklich, ich will mitkommen.“
„Nein, das wollt Ihr nicht. Ihr meint, Ihr solltet mitkommen.“ Unter den dichten, dunklen Brauen sah er sie abschätzig an. „Ich weiß nicht, wer Ihr seid und was Ihr wollt. Und Ihr wisst es auch nicht. Ihr solltet besser herausfinden, wer Ihr seid, ehe Ihr behauptet, jemand anderen zu lieben.“
Er schloss die Tür hinter sich und ließ sie zitternd im Schnee stehen.
9. KAPITEL
Ich weiß nicht, wer Ihr seid und was Ihr wollt.
Zwei Tage später erwachte Solay und hörte noch immer Justins Worte. Ich habe kein Recht, etwas für mich selbst zu verlangen, erwiderte sie in Gedanken, ganz wahrheitsgemäß, solange sie nicht laut sprach.
Meinte er, sie würde für ein selbstsüchtiges Begehren ihre Familie im Stich lassen? Für …für … ja, wofür? Kein selbstsüchtiger Gedanke fiel ihr an diesem Morgen ein, außer dem, frühstücken zu wollen.
Mit knurrendem Magen drehte sie sich in dem leeren Bett herum und hoffte, Agnes würde bald zurückkommen, um ihr bei der Entscheidung zu helfen, was sie als Nächstes tun sollte. Justin war einen Tagesritt weit entfernt. Wie sollte sie ihn betören?
Ihr Begehren vermischte sich mit Notwendigkeiten. Sein Urteil hatte sie mehr verletzt als manche Grausamkeit von anderen. Er schien zu erwarten, dass sie mehr tat – mehr war.
Ein Mann war nur dann wirklich frei, wenn er sich nur sich selbst gegenüber rechtfertigen musste.
So ein Mann war Justin.
Es konnte keine größere Freiheit geben als die, sich nicht um die Meinung anderer zu scheren.
Und doch war es ihm nicht egal, ob sie ihn liebte.
Pah! In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie zwang sich, aufzustehen und sich an zukleiden. Liebe war nur ein Wort für Dichter. Wenn er als Mann des Rechts, der er nun einmal war, auf die Gegebenheiten blickte, würde er feststellen, dass es keine Liebe gab. Ehen wurden des Geldes wegen geschlossen, der Macht und der Stellung wegen. Und was andere Paare betraf – nun, die Verbindung zweier Körper war weitaus wichtiger als ein unsichtbares Gefühl.
Die Tür ging auf, und auf Zehenspitzen schlich Agnes herein. Sie trug zwei geschmuggelte Brote bei sich, um zu frühstücken.
„Oh, vielen Dank!“ Solay genoss das weingetränkte Brot, ein heimliches kleines Ritual, das sie jetzt jeden Morgen miteinander teilten, trotz der Missbilligung des Königs. Der König glaubte, dass ein Frühstück vor dem Mittagsmahl eine Schwäche der unteren Klassen war.
„Der König hat neue Pläne“, sagte Agnes. Es war nicht nötig, zu fragen, woher Agnes die Pläne des Königs kannte. „Innerhalb der nächsten vierzehn
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