Die Tochter der Dirne
Erden.“
Sie berührte ihn am Arm und ließ dabei Mehlspuren zurück. „Justin, wenn es wirklich Gerechtigkeit gäbe auf Erden, dann wäret Ihr derjenige, dem ich zutrauen würde, sie zu finden.“
Ein Gefühl der Freude durchströmte ihn, und er nahm ihre Hand und drückte einen Kuss auf die Innenfläche, wobei etwas Mehl auf seinen Lippen zurückblieb.
Vielleicht konnten sie hier, weit weg vom Hof, Frieden finden.
Solays Mutter hatte ihre rechtlichen Papiere so sorgsam gehütet wie ihren Schmuck. Während der nächsten Wochen las Justin jedes einzelne davon.
Im oberen Gemach stellte er einen Tisch auf, an dem er die Dokumente las und an dem Amtsenthebungsverfahren arbeitete, wenn er der Einzelheiten über Eigentum und Besitz überdrüssig war. Er hätte um die Hilfe eines Schreibers bitten können, aber bei beiden Arbeiten konnte er niemandem trauen. Stattdessen ließ er Jane die Dokumente sortieren und ordnen, eine Aufgabe, die ihr Spaß zu machen schien.
Er lernte einiges über Lady Alys’ Geschäftsgebaren. Es war allgemein bekannt, dass die Mätresse des Königs Reichtum angehäuft hatte weit über ihr Recht und ihren Stand hinaus. Aber er hatte nicht gewusst, wie geschickt sie sich dabei angestellt hatte.
Als sie gezwungen gewesen war, ihr altes Leben aufzugeben, hatte Lady Alys viele Dinge zurückgelassen, aber kein einziges der Dokumente über ihren Besitz. Es gab Papiere, die ihr Rechte an mindestens fünfzig Besitztümern in fünfundzwanzig Grafschaften einräumten, eine Ansammlung von Ländereien, um die ein Earl sie hätte beneiden können. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte sie einen Sitz im Oberhaus innegehabt.
Manches davon waren Geschenke des Königs, ja, aber vieles hatte sie auf andere Weise erworben, und alles vollkommen legal. Tatsächlich hätte sie den Richtern gute Ratschläge geben können.
Doch unter all diesen Unmengen von Papieren gab es keine Liebesbriefe der Ehepartner, keinen Austausch über gemeinsame Angelegenheiten. Vielleicht wollte ein eifersüchtiger König nicht an den Rivalen erinnert werden, aber es hätte wenigstens irgendeinen Zettel geben sollen, der seine Argumentation stützen könnte.
„Wie geht die Arbeit voran?“ Lady Alys’ Stimme in seinem Rücken ließ ihn aufschrecken.
Er legte das Dokument hin, das er gerade studiert hatte, und erhob sich. „Ihr besitzt einen wahren Reichtum an Informationen.“
„Die Dokumente für dieses Grundstück belegen mein Anrecht darauf.“
„Bis das Parlament Weston als Euren Ehemann anerkannte. Dann fiel alles ihm zu.“
„Was das Erbe meiner Töchter belegen sollte.“
„Ihr sprecht über normale Umstände. Doch es wird allgemein angenommen, dass Eure Töchter die des Königs sind. Wenn sie erben sollen, muss ich einen Weg finden, um zu beweisen, dass sie legitime Nachkommen von William Weston sind.“ Jedes Kind, das während einer Ehe geboren wurde, galt vor dem Gesetz als das des Ehemanns, solange er sich nicht von ihm lossagte. „Könnt Ihr überhaupt belegen, dass Ihr zum Zeitpunkt ihrer Geburt mit ihm verheiratet wart? Ihr besitzt all diese Dokumente. Gibt es da nichts über die Heirat?“
„Ich fürchte, sie sind verloren.“
Oder vernichtet. Diese Frau hatte sich mehr um ihren Besitz gesorgt als um ihren Gemahl. „Es muss doch Zeugen der Zeremonie geben.“ Die Aussage eines Kirchendieners würde als Beweis für die Heirat genügen.
„Keine lebenden.“ Sie kehrte ihm den Rücken zu und trat ans Fenster. Der ausgefranste Saum ihres Kleides streifte über den Boden. „Warum brauche ich Zeugen? Das Parlament hat erklärt, wir wären verheiratet. Das sollte genügen.“
„Vielleicht würde es das, wenn es nicht um Lady Alys Weston ginge.“
Über die Schulter hinweg warf sie ihm einen traurigen Blick zu. „Justitia ist also nicht blind?“
Widerstrebend schüttelte er den Kopf. „Vielleicht war sie das nie.“ Seine hochmütigen Äußerungen über das Gesetz erschienen ihm jetzt lächerlich. Er hatte Solays missbilligende Ansichten getadelt, aber jetzt erschien sie ihm klüger, als er selbst es war. Für Lady Alys schien es unmöglich zu sein, von den Hütern des Gesetzes eine gerechte Behandlung zu erfahren.
Sie ging an ihm vorüber und blieb an der Tür stehen. „Dieser Besitz ist alles, was ich noch habe, um die Zukunft meiner Töchter zu sichern. Ich hoffe“, sagte sie und runzelte die Stirn, sodass sich zwischen ihren Brauen eine Falte bildete, „dass Solay keinen Fehler beging, als
Weitere Kostenlose Bücher