Die Tochter der Dirne
sie Euch bat, den Fall zu übernehmen.“
„Das hoffe ich auch“, erwiderte er.
Trotz Justins Zweifel fand Solay einen Heilkundigen in der Nähe, der sich bereit erklärte, ihr etwas über die Sterne und deren Einfluss auf den Heilungsprozess beizubringen.
Nach einem solchen Tag des Studierens kehrte sie stets erhitzt vom Fußmarsch und heiter zurück und plauderte über das, was sie gelernt hatte. Unwiderstehlicher denn je.
Nun, da er sich jeden Tag mehr nach ihr sehnte, erschien ihm die Aussicht auf ein gemeinsames Leben so verlockend wie der erste Stern am Nachthimmel. Und sein Schlaflager, einst sein Rückzugsort, kam ihm nun einsam und verlassen vor.
Noch immer schliefen sie getrennt, doch sie hatten sich angewöhnt, nach dem Abendessen einen Spaziergang zu unternehmen, weg von den durchdringenden Blicken ihrer Mutter, und kehrten oft erst spät zurück, wenn alle im Haus schon zu Bett gegangen waren.
„Heute sprachen wir von den fünf Aspekten der Planeten“, erklärte sie und kaute auf dem letzten Bissen Brot, während sie zusah, wie der Himmel erst rot wurde und dann die Sterne erschienen.
„Was heißt das?“
„Das ist das Verhältnis, in dem sie am Himmel zueinander stehen.“ Sie leckte sich die Finger ab und zählte dann auf. „Mal sehen, ob ich mich erinnern kann. Konjunktion bedeutet, sie erscheinen an derselben Stelle. Im Gegensatz bedeutet, dass sie sich eben genau gegenüberliegen, wie an zwei Enden einer Schnur. Im Quadrat sieht so aus.“ Sie hielt Daumen und Zeigefinger so, dass sie eine Ecke bildeten. „Und dann gibt es noch zwei andere, trigonal und im Sechseck.“
„Wie könnt Ihr Euch das alles merken?“ Die Begriffe machten ihn schwindelig.
„Es kann nicht schwieriger sein als die Gesetze“, sagte sie lächelnd. „Hier, ich werde es aufmalen.“
Sie nahm einen Stock und zeichnete einen Kreis in den Staub. Während er ihr dabei zusah, wie sie Verbindungslinien zog, musste er zugeben, dass dem eine gewisse Logik innezuwohnen schien.
„Aber welchen Sinn hat es zu wissen, was die Sterne sagen, wenn man daran nichts ändern kann?“
Sie blickte von ihrer Zeichnung auf, ihre Miene war ruhig. „Dann wisst Ihr, was nicht geändert werden kann. Zum Beispiel ist es der Planet Venus, der darüber entscheidet, wen wir lieben. Ihr könnt nicht Liebe von jemandem verlangen, so wie man auf dem Markt ein Pfund Mehl kauft.“
„Venus?“ Er hob eine Braue und zwang sich zu einem Lächeln. Ihre Liebe verlangen, um die Ehe zu vollziehen. War er je so dumm gewesen? Doch Venus schien ebenso wenig logisch wie alles andere in der Liebe, die völlig beliebig zuzuschlagen schien. Die ihn getroffen hatte.
Solay hob den Kopf. „Wenn ich gut genug bin, werde ich für mich die Sterne deuten, und für Euch auch, wenn Ihr es mir erlaubt. Dann werden wir sehen, was das Schicksal für uns geplant hat.“
„Das werdet Ihr nicht tun. Der König hat es verboten.“ Er hätte nie zulassen dürfen, dass sie das weiterverfolgte. Wenn sie die Missbilligung des Königs auf sich zog, könnte er sie als Hexe anklagen lassen oder Schlimmeres. Und Justin würde sie nicht retten können. Er würde sie im Stich lassen, so wie er es bei Blanche getan hatte.
Als sie ein wenig schief lächelte, erschien ein Grübchen in ihrer Wange, das er nie zuvor bemerkt hatte. „Ich dachte, die Meinung des Königs ist Euch egal?“
„Ihr seid mir nicht egal.“
Sie sah ihm in die Augen, als wäre sie nicht sicher, ob er die Wahrheit sagte. Er beugte sich zu ihr, und sein Mund streifte ihre Lippen. Ihre Berührung ließ ihn erschauern, und wie von selbst schienen sich seine Arme um sie zu legen.
Unfähig, sich von ihr zu lösen, küsste er sie gierig, verfluchte Venus, Gott, das Schicksal oder seinen eigenen verräterischen Körper, weil sie ihm die eine Frau geschickt hatten, der er nicht widerstehen konnte.
Sie gab sich ihm ganz hin. Keine Verführung, kein Necken, kein Versuch, ihn zu irgendetwas zu überreden. Nur Hingabe. Als hätte sie ihm alles verziehen, selbst die Dinge, von denen sie gar nichts wusste.
Er löste sich von ihren Lippen.
Doch er konnte sich nicht von ihr trennen, hielt sie fest, das Kinn auf ihrem Kopf. Beide atmeten schwer, als wären sie weit gelaufen. Ihr Herz pochte an seiner Brust, als versuchte es, sie aufzubrechen. Immer sprach ihr Körper ihn an, so sehr er sich auch dagegen wehrte, aber jetzt verspürte er neben dem Begehren noch etwas anderes, ein Gefühl von Frieden, das ihn zu
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