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Die Tochter Der Goldzeit

Die Tochter Der Goldzeit

Titel: Die Tochter Der Goldzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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ich ihn?«
    Aus hin und her zuckenden Augen belauerte die Seherin ihre Besucherin. »Du liebst ihn?«
    Torya antwortete nicht.
    »Er hat dich verlassen?«
    Torya nickte schweigend.
    »Hast du ein Schmuckstück von ihm, irgendetwas, das ihm gehört?«
    Torya zog eine Strähne roten Haares aus der Tasche ihres blauen Umhangs und legte sie auf den Steintisch.
    Die Seherin saugte an dem glühenden Stängel und blies den Rauch über den Tisch. Eine Truhe aus Blei stand darauf, ein Mörser aus gebranntem und glasiertem Ton, eine emaillierte Wasserkanne und eine große, von außen verrußte Schüssel aus purem Gold. Neben der Schüssel lag ein schwarzes Ledersäckchen. Die Seherin warf die Haare in die Schüssel, steckte den glühenden Stängel zwischen die Zähne, fummelte das Band des Ledersäckchens auf und schüttelte seinen Inhalt auf die Steinplatte.
    Die Königin sei schwer erkrankt, hatte Gulwyon verbreiten lassen, als Torya ihre Gemächer nicht mehr verließ. Das war nicht einmal gelogen. Der Magier führte die Regierungsgeschäfte. Die ganze Zeit über weigerte er sich, für sie in die Finsterwelt zu reisen. Wie hatte sie ihn angefleht! Gulwyon blieb starrsinnig und lehnte es ab, die Geister des Finsterfürsten nach Jacub zu befragen. »Vergiss ihn«, hatte er gesagt. »Rüste eine Flotte aus und such die Lichterburg, dann kommst du auf andere Gedanken.«
    Ein Wirrwarr aus Blättern, Knöchelchen, Blüten, Wurzeln, Insekten und Pilzen lag jetzt auf dem Steintisch. Mit spitzen Fingern pickte die Seherin zwei vertrocknete Spinnen und einige Pilze heraus und steckte sie sich in den Mund. Während sie darauf kaute, öffnete sie die Bleitruhe und förderte ein in feuchtes Tuch geschlagenes Bündel zutage. Das wickelte sie auf, und sofort schnürte fauliger, metallener Geruch Torya die Kehle zu. Ein Rinkuda-Auge, die Leber eines Kolks und die teilweise skelettierte Hand eines Menschen lagen jetzt auf dem Tisch. Torya blickte an der Seherin vorbei ins Feuer und kämpfte ihren Ekel nieder.
    Draußen heulte der Sturm.
    An Bord der Bryta hatte sie Albodon verlassen, um die Lichterburg zu suchen, wie sie Gulwyon erklärte. Zwei Fregatten begleiteten sie, außerdem Walliser mit seiner Vulvya. In der Tausendinselsee trafen sie Fischer, die mit Jacub gesprochen hatten; nur ihn suchte Torya. Nach Tiefländern mit den Farben Schwarz und Gelb hatte er gefragt. Sein Schiff, ein kleiner Zweimaster, hieß Casteyrunia.
    Die Seherin warf die Hand, die Leber und das Auge in die Schüssel. Danach schob sie die Kräuter, Insekten, Knochen, Rinden- und Wurzelteile vor sich auf dem Tisch zusammen, warf sie in den Mörser und begann sie zu zerstampfen. Sie rauchte unablässig dabei. Schließlich kippte sie das Pulver aus dem Mörser in die Goldschüssel, griff nach der Blechkanne und goss Wasser dazu. Sie saugte an dem Glutstängel, blies den Rauch in die Schüssel, stierte in die Brühe: Blutschlieren, Blatt- und Wurzelkrümel schwammen zwischen Blütenbröseln und Gewebefetzen. Im Kamin prasselte das Feuer.
    An der Mündung des Großen Stromes hatte Toryas Flotte die Bewohner eines Pfahldorfes getroffen, bei denen Jacub Proviant gekauft hatte. Eine Frau schwor bei der Ehre ihrer Mutter, dass er zum Nordsund weitersegeln wollte. Danach kauften Toryas Männer Trinkwasser und Proviant auf Yppeltorn, der größten und zugleich einer der wenigen natürlichen Inseln in der Tausendinselsee. In dieser küstennahen Meeresregion wimmelte es nur so von schwimmenden und zumeist verlassenen Städten aus der Zeit vor der Götternacht.
    Die Seherin von Yppeltorn langte jetzt in die Truhe und entnahm ihr eine silberne Amphore, nicht viel größer als ein Messergriff. Sie entkorkte sie und gab ein paar Tropfen einer klaren Flüssigkeit in die Schüssel. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und träufelte sich je einen Tropfen in jedes Auge. Anschließend stand sie auf und trug die Goldschüssel zum Kamin. Dort stellte sie das Gefäß auf einen Rost über die Glut des heruntergebrannten Kaminfeuers. Unter dem Rost legte sie frisches Holz auf. Sie blies in die Glut, bis wie-der Flammen züngelten.
    Ächzend und hustend richtete sie sich auf und griff nach einem runden, mit einer Lederdecke verhüllten Gegenstand auf dem Kaminsims, etwa doppelt so groß wie die Schüssel. Behutsam schälte sie ihn aus dem Leder. Ein in Gold gerahmter Spiegel kam zum Vorschein. Sie hängte ihn an einen Haken in der Kaminöffnung. Er hing schräg und leicht nach vorn gekippt,

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