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Die Tochter Der Goldzeit

Die Tochter Der Goldzeit

Titel: Die Tochter Der Goldzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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überstürzten Aufbruch aus dem Nordmanndorf. Ein verlassenes Kanu lag zwei Speerwürfe weit vom Dreimaster entfernt im Kies des Strandes. Cahn Rosch hatte den Wilden Moellen mit vier Spähern ausgesandt, um nach einer menschlichen Siedlung zu suchen.
    »Wir brauchen Einheimische, die uns den Weg zu dem Ort zeigen, wo du unbedingt hinwillst«, hatte er zu Katanja gesagt. Sie hörte den leisen Vorwurf in seiner Stimme. Und die Lüge hörte sie auch: Die sieglos abgebrochene Schlägerei mit Svervagos' Leuten steckte dem Capotan in den Knochen. Er suchte jemanden, an dem er sich für die Kränkung rächen konnte. Nur deswegen hatte er Späher ausgesandt.
    Katanja wusste, dass sie auf der Hut sein musste. In Gedanken arbeitete sie längst an dem Plan, die Esvalya heimlich zu verlassen und sich auf dem Landweg und allein nach Hagobaven durchzuschlagen; nur einen einzigen Begleiter von der Esvalya wollte sie mitnehmen. Nach ihren Karten lag die Nordsozietät an der Ostküste der Insel, an deren Westseite sie nun ankerten. Sie rechnete mit drei Tagen Fußmarsch bis dorthin.
    Seit dem Morgengrauen des vergangenen Tages waren Moellen Rosch und seine Späher unterwegs. Die Seeleute arbeiteten in der Takelage oder schrubbten das Außendeck. Andere schärften Messer und Schwertklingen, besserten Netze aus oder angelten. Über dem Mann im Ausguck hockte der Blaue auf der Spitze des Topmastes.
    Katanja saß auf ihrem Platz am Heck der Esvalya und verband Stichwunden. Hinter ihr, an der Heckbalustrade, kauerten die beiden verstörten Mädchen aus dem Nordmannsdorf. Sie flickten Decken, nähten zerrissene Hosen und stopften löchrige Jacken der Poruzzen. Wann immer es möglich war, suchten sie Katanjas Nähe, und Katanja versuchte sie vor den zudringlichen Seeräubern zu beschützen.
    Ein Verwundeter, den sie verbunden hatte, hinkte die Stufen der Hecktreppe hinunter und schlurfte an Zorcan und Polderau vorbei zur Luke ins Unterdeck. Waller Rosch brachte ihr heißen Kräutertee. Unten an der Treppe lallte Zorcan, schaukelte auf seinem Rollbrett herum und klatschte in die Hände. Er und Polderau würfelten um wertlose Blechknöpfe. Der Affe ließ den Wahnsinnigen gewinnen. Erst im Verlauf des Frühlings hatte Katanja gemerkt, dass Polderau die Anzahl der Punkte auf den Würfeln nicht nur richtig angeben, sondern auch fehlerlos zusammenzählen konnte. Wann immer sie Zeit hatte, beobachtete sie ihn heimlich. Selbst unter den Frauen und Kindern gab es nur wenige, die Zorcan ähnlich einfühlsam und aufmerksam behandelten.
    Waller Rosch setzte sich auf die oberste Treppenstufe und sah dem Affen und seinem gelähmten Bruder beim Würfeln zu. »Ich kann es jetzt fließend, Katanja«, sagte er.
    Katanja verstand nicht gleich und hob fragend die Brauen.
    »Lesen. Ich habe geübt. Jeden Morgen vor der Arbeit am Damm.«
    »Wie konntest du üben ohne Buch? Hast du etwa all die Zettel noch einmal gelesen, die ich dir im Lauf der Zeit vollgeschrieben habe?«
    »Ich hab mir ein Buch von Karion geliehen.«
    »Wenz hat ein Buch?« Überrascht blickte Katanja zu dem Gehilfen des Baders. Der war noch damit beschäftigt, Instrumente, Salben und Binden in der Verbandstruhe zu verstauen.
    Wenz nickte scheu.
    »Darf ich dir vorlesen?« Über die Schulter sah Waller Rosch zu Katanja.
    Sie war einverstanden.
    »Hol dein Buch, Karion!«
    Wortlos stand der scheue Poruzze mit der Hasenscharte auf, stieg die Hecktreppe und dann aufs Unterdeck hinunter.
    »Ich wusste nicht, dass Wenz lesen kann«, sagte Katanja. Sie war verblüfft. Vor der Treppe kreischte Zorcan und schlug nach dem Affen. Offenbar hatte er gemerkt, dass Polderau ihn absichtlich gewinnen ließ.
    Wenz kehrte mit einem daumendicken, zerfledderten Buchblock ohne Deckel zurück und gab ihn Waller Rosch. Der schlug ihn in der Mitte auf und begann sofort zu lesen: »Spruch DASHIRINS an Alphatar im hundertsten Winter nach der Götternacht. Wie es einst war, wird es wieder werden: Man wird wieder erforschen, was kein Auge je gesehen; man wird wieder in Fernen schauen, die kein Fuß und kein Schiff je überbrückt haben; man wird wieder die Lüfte bevölkern und die Tiefen des Meeres; man wird wieder die Farben der Menschheit auf den Sternen wehen sehen, meine Farben .«
    Es stimmte - Waller Rosch las fast flüssig, stockte nur an wenigen Stellen, musste kaum ein Wort wiederholen; auch den Finger benutzte er nicht mehr. Katanja staunte. Mehr noch als über ihren Schüler staunte sie jedoch über den

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