Die Tochter Der Goldzeit
Tochter erzählt, meine Tochter hat's mir erzählt.«
Jacub bedankte sich und legte ab. Von der Mündung des Großen Stromes aus segelte er nach Norden. Bald ließ er die Tausendinselsee hinter sich. Keine zwei Wochen später, zu Beginn des sechsten Mondes, steuerte er die Casteyrunia durch die Meerenge der Nordsundeinfahrt.
Am Morgen danach sichtete er im Süden eine von Fjorden zerklüftete Küste. Mit dem Fernrohr hielt er nach Schiffen und Küstendörfern Ausschau. Er hoffte, auf Menschen zu treffen, die er nach der Esvalya fragen konnte, und wusste doch, dass es Tage, ja Monde dauern konnte, bis er auf Menschen traf: Hier oben im Norden verlief schon die Grenze der bekannten Welt, und die Inseln und Küstenstreifen waren noch dünner besiedelt als die Wälder Eyruns.
Umso erstaunter war er, als auf einmal Segel in seinem Fernrohr auftauchten. Neun Einmaster näherten sich ihm; jeder war mit einem Gaffelsegel und zwei Vorsegeln ausgestattet. Sechs Ruderbänke zählte Jacub, als die Boote näher kamen. Damit waren die Einmaster seiner Casteyrunia an Schnelligkeit überlegen, und Jacub machte gar nicht erst den Versuch, den Fremden auszuweichen. Auf jedem Schiff zählte er sieben schwerbewaffnete Männer.
Sie kreisten ihn ein, eines fuhr steuerbords bis auf zwei Dutzend Schritte heran. Jacub sah, dass ein paar Männer Pfeile in ihre Bogensehnen spannten und die Waffen auf ihn richteten. »Wer bist du?«, rief ein alter Kerl. Er stützte sich auf ein langes Schwert, und Wurflanzen ragten aus seinem Rückenköcher. Langes, graues Haar hatte er und drei Augen.
»Jacub von Eyrun! Und wer bist du?«
»Svervagos, der Göttersprecher dieser braven Männer hier. Unser Dorf liegt eine Tagesreise weiter nördlich hinter der Landzunge, die du passiert haben musst. Was hast du hier verloren, so hoch im Norden, Jacub von Eyrun?«
»Ich suche Tiefländer vom Stamm der Poruzzen. Ihre Farben sind Gelb und Schwarz, ihr Schiff heißt Esvalya und ihr Anführer Cahn Rosch. Habt ihr die in dieser Gegend gesehen?«
»Was willst du von diesen Männern, Jacub von Eyrun?«
Einen Atemzug lang dachte Jacub über seine Antwort nach. Dann sagte er: »Ich will sie töten.«
Eine Bewegung ging durch die Männer auf dem Schiff, Jacub sah es genau. »Dann segle mit uns, Jacub von Eyrun! Auch wir wollen sie töten!«
»Ihr kennt sie?«, staunte Jacub.
»Der Windgott weiß, dass wir sie kennen!« Svervagos stieß die Klinge seines Schwertes auf die Deckplanken. »Sie haben zwei unserer Töchter geraubt!«
Kapitel 16
Jacub kehrte nicht zurück. Kein albridanisches Schiff hatte ihn gesichtet, keines brachte eine Botschaft von ihm. Torya vergaß die Welt - den Himmel, die Erde, die Menschen, die Zeit. War es wirklich Sommer gewesen? Sie hatte es nicht bemerkt.
Anfangs schrie sie tagelang, danach schloss sie sich wochenlang in ihrer Zimmerflucht ein. Schließlich brach sie auf und suchte ihn - in der Eyrunischen See, in den Wäldern seiner Heimat, an der Westküste, in der Tausendinselsee.
Inzwischen war es Herbst geworden, und sie saß im Turm einer Frau, die behauptete, überall hinschauen zu können, an jeden Ort der Erde, hinunter in die Finsterwelt und sogar hinüber in die Anderwelt, wenn sie wollte - und wenn man sie dafür bezahlte. Torya bezahlte: Durch Burgas hatte sie ihr zwei Goldstücke geben lassen.
Das Gesicht der Frau war weißgrau wie ihr Haar, ihre Augen rötlich wie die Gulwyons. Ihre Nase sah aus wie eine abgeblühte, ehemals gelbe Rose, und in den drei Fingern ihrer Linken hielt sie einen braunen Stängel von der Dicke und der doppelten Länge eines Männerdaumens. Dessen Spitze zündete sie am Kaminfeuer an, das drei Schritte hinter ihr brannte. Sie saugte an dem Stängel und blies den Rauch über Torya hinweg. Sie trug schwarzes Leinen, eine Art Kapuzenkleid. Hatte sie fünfzig Winter gesehen oder schon sechzig? Schwer zu sagen. Seherin wollte sie genannt werden; ihren Namen verriet sie nicht, fragte auch nicht nach Toryas Namen.
Sie thronte vor einer geschliffenen Steinplatte, die auf Holzpflöcken ruhte. Torya saß ihr gegenüber auf einem Hocker, ein blauer Schleier verhüllte ihr Gesicht.
»Also«, fragte die Seherin mit einer Stimme, die wie das Husten eines kranken Alkers klang, »was willst du wissen?«
»Ich suche einen Mann«, sagte Torya. Vor dem mit Sackstoff verhangenen Turmfenster heulte der Herbststurm. »Er hat langes rotes Haar, ist bald vierundzwanzig Winter alt und stammt aus Eyrun. Wo finde
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