Die Tochter Der Goldzeit
sodass sich das Feuer und die Flüssigkeit in der Schüssel darin spiegelten.
»Schau in den Spiegel«, krächzte die Seherin mit ihrer hustenden Stimme. »Kannst du die Schüssel sehen?«
Torya nickte.
»Behalte sie ihm Auge.« Die Frau ließ sich vor dem Kamin nieder, kreuzte die Beine und begann ihren Oberkörper vor und zurück zu wiegen. Dabei murmelte sie unverständliche Worte. Torya beugte sich über den Steintisch und beobachtete die goldene Schüssel und das auflodernde Feuer im Spiegel.
Die Flammen leckten über den Schüsselrand, das Wasser siedete. Stechender Gestank erfüllte das Turmzimmer. Torya kämpfte gegen ihre aufsteigende Übelkeit an. Die Seherin vor dem Feuer bewegte sich schneller, ihr Geraune wurde eindringlicher. Bald begann das Wasser in der Goldschüssel zu kochen, Tropfen spritzten ins Feuer und verdampften zischend. Dampf und Rauch verhüllten den Spiegel. Ein schwerer süßlicher Duft kroch durch den Raum. Torya presste ihren Schleier vor die Lippen und versuchte, ausschließlich durch den Mund zu atmen. Ihre Augen tränten.
Draußen tobte der Sturm, es donnerte. Das Feuer im Spiegel loderte jäh auf, grelles Licht zuckte durch das Turmzimmer. Kam es aus dem Spiegel? Oder war es ein Blitz im Nachthimmel vor dem Turm? Torya schloss geblendet die Augen. Als sie die Lider wieder öffnete, hatten sich Rauch und Dampf vor dem Goldspiegel gelichtet, und plötzlich sah Torya ein brennendes Floß im gespiegelten Feuer - auf Meereswellen trieb es davon. Ein Mann richtete sich in den Flammen auf und sah sie an.
König Ybert von Albridan! Toryas Vater! Ein Ausruf des Schreckens entfuhr der Königin, sie schlug die Hand vor den Mund.
Flammen und Dampf verhüllten die goldene Schüssel inzwischen fast vollständig. Der Spiegel darüber schien auf einmal zu wachsen, blähte sich auf, schwoll zu einer glühenden Blase an, zu einem gigantischen Auge. Und dann war es, als würde das Auge platzen: Feuer, Glanz und Rauch schossen aus ihm, und in einem Flammenmeer vor dem Kamin bog sich die Seherin und stöhnte wie unter Schmerzen. Bilder schälten sich jetzt aus den Flammen und dem Rauch, und Torya saß atemlos und kerzengerade auf der Kante ihres Hockers. Beide Fäuste presste sie gegen die Lippen.
Plötzlich sah sie sein Bild inmitten von Flammen und Rauch: Jacub! Voll Zärtlichkeit war sein Blick. Er stand zwischen zwei roten Türmen. Schneegestöber umgab ihn, ein dunkelgrauer Pelz hüllte ihn ein, Wind riss an seinem roten Haar. Eine zierliche schwarzhaarige Frau lehnte an ihm, sah zu ihm auf, sie trug einen hellgrauen Pelz. Jacub beugte sich zu ihr hinunter - umarmte sie ...
Torya sprang auf und stieß einen Wutschrei aus. »Verräter!« Flammen löschten das Bild aus, teilten sich, ließen ein neues entstehen: Schwarze Viermaster, über jedem stand eine Säule aus Rauch, ihre blauen Flaggen zeigten einen schwarzen Greif auf einem Schild, den zwei schwarze Rösser hielten.
»Was ist das?«, keuchte Torya.
»Halte dich an diese!« Mit dem Glutstängel deutete die Seherin auf die Schiffe im Spiegel. »Die werden dich zu ihm führen ...!« Sie krächzte nur noch.
Wieder zuckten Flammen aus der Schüssel, hüllten den Spiegel ein, teilten sich, enthüllten Torya ein neues Bild: Sie selbst vor einem Bett und in ihrer Rechten ein Dolch - und unter ihr, in seinem Kissen, röchelnd und verblutend ihr Bruder Albus mit aufgeschlitzter Kehle .
Die Seherin verstummte und fuhr herum. Der stechende Blick ihrer roten Augen bohrte sich in Toryas Gesicht. Ihre missgestalteten Nasenflügel bebten. Erloschen waren die Flammen im Spiegel, heruntergebrannt das Holz im Kamin. Rauch und Dampf verzogen sich, und in der Schüssel über der Glut brodelte nur noch ein dunkler breiiger Sud. In ihm ballte sich die Knochenhand zur Faust.
Aus dem Goldspiegel über der bleichen Seherin starrte ein hasserfülltes Gesicht die Königin an - hart, knochig und von feuchten, blonden Haarsträhnen umrahmt.
Das Gesicht einer Mörderin.
Ihr eigenes Gesicht.
Torya stürzte zur Tür, riss sie auf, stürzte die Wendeltreppe hinunter. Burgas und seine Gardisten warteten unten an der Treppe. Erschrocken sahen sie ihre Königin an.
»Hoch mit euch!«, zischte sie. »Tötet sie!«
Aus dem Turm stürzte sie in den nächtlichen Gewittersturm und rannte zu den Alkern.
Kapitel 17
Die Esvalya ankerte in einem der unzähligen Fjorde, die in diesem Teil der Welt die Küstenlinie zerklüfteten. Es war der neunte Tag nach dem
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