Die Tochter Der Goldzeit
Landesinnere zu erstrecken schien; er war nicht breiter als ein Strom. Kleine Dünen gab es an seinem Ufer, zwischen ihnen konnte man sich verstecken. Doch Jacub und Katanja versteckten sich nicht, sondern liefen hinter den Dünen am Ufer des Fjords entlang landeinwärts nach Osten, bis auch der Vollmond unterging und sie keine zwei Schritte weit mehr sehen konnten.
Sie stiegen einen Dünenkamm hinauf, fanden eine Vertiefung und breiteten dort ihre Felle und Decken aus. Jacub setzte sich an den Rand der Mulde neben seine Großkatze und übernahm die erste Wache. Wenige Schritte entfernt rollte Katanja sich in ihre Decke.
Obwohl sie erschöpft war, fand sie keine Ruhe. Die Trauer um Waller Rosch und seine Brüder und um Polderau quälte sie. Und wo steckte Merkur? Wie sollte sie ohne ihn je wieder einen Brief nach Altbergen schicken, falls der Blaue nicht zurückkehrte? Bald flatterten kreischende Möwen und krächzende Graukolks durch ihr Hirn, ständig hörte sie das Gehämmer von Schnabelhieben, und wenn sie die Augen schloss, sah sie wieder die brennende Esvalya sinken. Schlaflos warf sie sich von einer Seite auf die andere.
Irgendwann setzte sie sich auf und lauschte in die Nacht. Wie von selbst fanden ihre Gedanken sich auf einmal in Jacubs Gedanken wieder. Es ging ihm wie ihr: Bilder wühlten ihn auf. Doch es waren andere Bilder als bei ihr. Er sah eine Flagge, er sah einen schwarzen Greifen auf rotem Grund, und er sah eine blonde Frau mit grünen Augen, eine schöne Frau. Auf einmal erinnerte sich Katanja genau seiner Worte, als er von der Casteyrunia aus die Flagge Albridans erkannte. Sie drehte sich um, so dass sie seine Gestalt oberhalb der Mulde sehen konnte. »Wer sucht dich hier am Ende der Welt?«, fragte sie ihn.
Lange kam keine Antwort. Ihre Frage schien ihn überrumpelt zu haben. »Die Königin von Albridan«, sagte er endlich.
»Und warum sucht sie dich?«
»Sie wollte mich zum König an ihrer Seite machen. Ich bin gegangen, in der Nacht nach dem Tag, an dem wir entschieden, wann wir die Hochzeit bekanntgeben wollten.«
»Hochzeit?« Wie ein Stich fuhr es ihr ins Herz. »Du liebst diese Frau?«
Er antwortete nicht.
»Du bist heimlich gegangen?« Katanja war empört. »Warum hast du ihr nicht gesagt: >Es ist vorbei, ich gehe«
»Sie hätte mich niemals gehen lassen.« Er wandte sich nicht zu ihr um, sprach leise und tonlos in die Nacht hinein. »Vielleicht hätte sie mich sogar in den Kerker geworfen, nur um mich für sich zu haben.«
»So ist sie?«, staunte Katanja.
Jacub blickte schweigend in die Dunkelheit.
»Trotzdem: Ich mag keine Heimlichkeiten.« Sie legte sich wieder hin und rollte sich in ihre Decke.
»Du kennst sie nicht. Sie ist gefährlich.«
»Welche Frau ist nicht gefährlich, wenn sie verlassen wird?«
Nicht mehr allein die Trauer um die Rosch-Brüder, die Sorge um Merkur und die schlimmen Erlebnisse des zurückliegenden Tages raubten ihr jetzt den Schlaf - nun kreisten ihre Gedanken auch noch um den Mann aus Eyrun und seine Worte; um seine Worte, und das, was sie mit ihr machten. Warum zog sich ihr Herz zusammen, wenn sie daran dachte, dass er eine Frau liebte?
Irgendwann schlief sie dennoch ein. Sie träumte sich acht Winter zurück in Janners Arme. In jener Höhle über dem Flusstal liebten sie sich, während im Wald vor dem Höhleneingang mit der Schneedecke auch die Stille wuchs. Das Glück erfüllte ihre Glieder von den Zehenspitzen bis in die Haarwurzeln, und als ihr Körper mit Janners verschmolz, trat die Meisterin in die Höhle. Sie trug ein schwarzes Kleid, und ein schwarzer Schleier verhüllte ihr weißes Haar. Janner war plötzlich seltsam ruhig. Vor seinem und Katanjas Liebeslager ging die Meisterin in die Hocke, nahm den nackten Janner auf die Arme und trug ihn aus der Höhle in den Winterwald. Dort kniete sie nieder und begrub ihn mit bloßen Händen im Schnee.
Als sie sich wieder aufrichtete, trug Grittana das weite, weiße Gewand einer Meisterin und das rote Stirnband. Sie drehte sich zum Höhleneingang um, lächelte und winkte Katanja zu sich heraus .
Mit unruhigem Herzen wachte sie auf, als die Morgensonne strahlend am östlichen Horizont stand. Jacub hockte noch immer am Rand der Mulde. Ein starker Wind wehte vom Meer her, und er hatte sich sein rotes Haar mit einem schwarzen Tuch aus der Stirn gebunden. Mit seinem Fernrohr suchte er das flache Land ab. Katanja betrachtete ihn, und ihre Beunruhigung wuchs.
»Noch entdecke ich niemanden«,
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