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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Traufe, aber angesteckt habe ich mich Gott sei Dank auch bei den Aussätzigen nicht»   –, bis die Seuche sich ausgetobt hatte und die Städte in der Gegend wieder ihre Tore öffneten. Nach Tübingen wollte er nicht zurück. Stattdessen suchte er Arbeit in Urach, das unter Friedrich mit seinen Tuchmachern und Leinenwebern eine neue Blüte erlebte, und stieß dabei auf zwei ehemalige Kommilitonen, mit denen er sich, wie viele seiner studierten Zeitgenossen, eine Zeit lang auf dem Gebiet der Alchimie kundig gemacht hatte.
    «Tag und Nacht hatten wir uns mit der Scheidekunst und Transmutationslehre beschäftigt.» Er zog Marthe-Marie fest an sich, um der Kälte zu trotzen. «Wir rührten Mineralien und Metalle in allen denkbaren Kombinationen zusammen – es wundert mich heute noch, dass das Zeug mir nur so selten um die Ohren geflogen ist.»
    «Du warst tatsächlich Alchimist?»
    «O nein. Ein Dilettant war ich, nichts als ein Dilettant, wie es Tausende gibt, die sich, vom Kardinal bis zum Kesselflicker, in dieser Kunst versuchen. Inzwischen weiß ich, dass nur ein starker Charakter in dieser Wissenschaft weiterkommt, einer, der mit sich und der Welt in Harmonie lebt. Und dazu gehöre ich nicht. Ebenso wenig wie meine beiden Genossen übrigens, die ich fälschlicherweise für Meister ihres Fachs hielt. Von ihnen erfuhr ich, dass Herzog Friedrich auf die Alchimisten gesetzt hatte, um zu Geld für seine zahlreichen Unternehmungen zu kommen, und dass er Stuttgart zum Zentrum der Goldmacherei erheben wolle. Sie beide hätten eine Einladung von höchster Stelle in der Tasche, bei Hofe zu arbeiten, und könnten dabei einen Gehilfen gut brauchen. Ich sagte sofort zu, denn ich sah die Gelegenheit gekommen, meiner öden Zukunft als Hauslehrer zu entkommen.»
    So hatte er sich den beiden vermeintlichen Alchimisten angeschlossen und war mit ihnen in die Residenz gezogen. Dort mussten sie in der herzoglichen Kanzlei ein Schreiben unterzeichnen, in dem sie sich verpflichteten, binnen vierzehn Tagen aus einer Mark Silber acht Lot Gold herzustellen. Als Lohn winkte ihnen die unglaubliche Summe von zwölftausend Gulden.
    «Was ich nicht verstehe – wie kann ein Herrscher sich mit solchen Dingen befassen? Wird die Alchimie von der Kirche nicht als Schwarzkunst verfemt?»
    «Nicht für jeden gilt das gleiche Gesetz. An den meisten Herrscherhöfen, aber auch in unzähligen Klöstern, wird die Alchimie hinter verschlossenen Toren kräftig gefördert. Es geht schließlich um Gold. Nimm unseren Kaiser Rudolf: Der überlässt das Regieren seinen Hofbeamten und umgibt sich stattdessen auf dem Prager Hradschin mit Astrologen und Alchimisten, mit Magiern und Totenbeschwörern.»
    In Stuttgart habe man ihnen ein äußerst nobles Quartier zugewiesen und sie wie große Gelehrte behandelt. Ein Labor mit allen erdenklichen Öfen und Apparaturen stand im Alten Lusthaus ganz zu ihrer Verfügung. «Dass meine Kommilitonen Scharlatane waren, merkte ich erst, als wir am dritten Tag vor Herzog Friedrich geladen wurden, um eine Probe unserer Kunst zu geben. Sie nahmen eine Silbermünze, hielten sie mit einer Zange ein Vaterunser lang in die Brennerflamme, während rundum stinkender Rauch in die Höhe stieg. Dann tauchten sie die Münze in Wasser, und siehe da – das Silber hatte sich in Gold verwandelt. Ich fiel aus allen Wolken: Das war ein ganz simpler Trick, den ich aus Studienzeiten kannte. Du nimmst eine mit Zink überzogene Kupfermünze, die wie Silber aussieht. Durch den Vorgang entsteht wertloses Talmi, eine goldfarbene Legierung aus Kupfer und Zink. Der Herzog schien denn auch nicht sonderlich überzeugt, und bereits nach einer Woche war unser Treiben als Betrug enttarnt.»
    «Ja, aber wenn du den ganzen Hokuspokus so schnell durchschaut hast, warum hast du deinen falschen Freunden dann nicht sofort den Rücken gekehrt?»
    «Weil ich so einfältig war, dass man es kaum glauben mag. Ein ums andere Mal hatten sie beteuert, die Täuschung sei ein notwendiges Übel gewesen, um Zeit zu schinden; sie seien der Lösung nämlich dicht auf den Fersen. Stattdessen landeten wir alle drei im Kerker.»
    Zärtlich strich er ihr über die Wange, ihren Hals, fuhr im Dunkeln den Konturen ihrer Lippen nach. Sie erschauerte.
    «Und dann?»
    «Da wir bis dato noch keinen größeren Schaden angerichtet hatten, ließ der Herzog Gnade vor Recht ergehen. Statt zum Tode wurden wir nur zu lebenslangem Landesverweis verurteilt. Damit hatten wir großes Glück. Ein

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