Die Tochter der Hexe
pinkelte, platzte Marthe-Marie der Kragen. Sie riss Marusch die Peitsche aus der Hand, sprang vom Bock, ließ sie knapp hinter den Burschen durch die Luft knallen und brüllte, sie sollten auf der Stelle verschwinden. Verblüfft starrten die Jungen sie an, dann trollten sie sich ohne ein weiteres Wort.
«Und Ihr solltet besser Eures Amtes walten, als nur herumzustehen und Maulaffen feilzuhalten», fuhr sie den Torwächter an. Wütend marschierte sie zum Wagen zurück. Jetzt erst merkte sie, dass die Gaukler angehalten hatten, um ihr zuzusehen. Diego lehnte an seinem Fuhrwerk und grinste.
«Ich wusste gar nicht, dass du so streitbar sein kannst. Eine richtige Amazone.»
«Wenn du nicht willst, dass ich den Streit mit dir fortsetze, halt lieber den Mund.» Sie ärgerte sich über sein Grinsen, sie ärgerte sich über seine neunmalkluge Bemerkung, mit der er einmal mehr ein Wissen kundtat, das sie nicht besaß. Vor allem jedoch ärgerte sie sich, dass sie letzte Nacht nicht die Willenskraft gehabt hatte, ihm zu widerstehen.
Kurz darauf bogen sie in einen Hohlweg und erreichten ihren Lagerplatz. Der Wingert war verwahrlost und zu einem großen Teil von Brombeergestrüpp überwuchert, doch er bot Schutz vor Wind und Unwetter, lag nicht weit von einem Bach, und die kleine Wiese unterhalb der verfallenen Stützmauern würde man zum Proben nutzen können.
Es war noch Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit, und so machten sich der Prinzipal und Diego gemeinsam – als Zeichen ihrer Versöhnung – auf den Weg in die Stadt. Die Nachricht, diesie eine Stunde später überbrachten, klang fürs Erste nicht schlecht. Einlass in die Stadt könne man ihnen nicht gewähren, da man in den letzten Jahren schlechte Erfahrungen mit Fahrenden gemacht habe, aber sie möchten ihre Künste nach Belieben im Weinberg vorführen. Höre man in der ersten Woche keine Klagen, so dürften sie nach dem Willen des Rats eine weitere Woche bleiben.
«Na also», meinte Marusch, mit einem Seitenblick auf Diego und nicht ohne Spott in der Stimme. «Das ist doch schon mal ein verheißungsvoller Anfang für Leonhard Sonntag und seine berühmte Compagnie.»
Tatsächlich hatten sie regen Zulauf auf ihrer kleinen Wiese, obwohl es in den nächsten Tagen immer wieder zu regnen begann. Reutlingen war eine Stadt der Gerber und Färber und zugleich Marktort für das Umland, und so strömten täglich große Gruppen von Bauern und Händlern aus allen Richtungen in die Stadt. Die meisten gönnten sich das Vergnügen, den Gauklern bei ihren Darbietungen zuzusehen. Ebenso die Handwerker aus der Stadt, die nach Feierabend mit ihren Familien und Knechten herauskamen. Das Geld saß hier keinem locker, doch letztendlich waren es jeden Tag so viele Zuschauer, dass man über die, die keinen Obolus entrichteten, großzügig hinwegsah.
Sie spielten zwei Wochen lang, in denen Quirin Tag für Tag mürrischer wurde, denn er befand es für unter seiner Würde, seine Feuer- und Messerkünste auf einem nassen Acker zu zeigen statt auf Markt- und Kirchplätzen. Für Marthe-Marie wurde die Nummer mit dem Rechenmeister Adam Ries zu einem schier endlosen Moment der Anspannung, denn die Nähe zu Diego, die bei ihrer Aufführung nun einmal nicht zu vermeiden war, seine Blicke und Berührungen erinnerten sie jedes Mal an ihre Liebesnacht. Diego nutzte diese Auftritte schamlos aus, wie sie fand. Wenn er sie ansah, schien er sein tiefstes Inneres vor ihr bloßzulegen, wenn er sie berührte, spürte sie förmlich Funken überspringen. Immerhäufiger geschah es, dass sie bei ihren Antworten zögerte oder sich gar verrechnete und verschätzte. So ging sie ihm nach den Vorstellungen aus dem Weg, wann immer es möglich war.
Am dritten oder vierten Tag nahm Marusch sie beiseite.
«Sag mal, was ist denn mit dir? Du führst dich ja auf wie eine verstockte Jungfer. Sag dem Spanier, dass du ihn liebst, oder sag ihm, dass du ihn nicht liebst, aber tänzle nicht herum wie ein verschrecktes Reh. Euer Auftritt ist inzwischen miserabel. Wenn du nicht willst, dass Leo dich deswegen ins Gebet nimmt, solltest du das mit Diego ins Reine bringen.»
Marusch hatte Recht. Sie spielte mit ihm, nicht umgekehrt. Noch an diesem Abend, gleich nach ihrem Auftritt, wollte sie Diego deutlich machen, dass er nichts von ihr zu erwarten habe. Er kam ihr zuvor. Sie kauerte gerade hinter dem Bühnenvorhang und legte Maske und Requisiten zurecht, als er sie ansprach.
«Du, der jetzt mein Herz gehört», er nahm ihre
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