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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Hand und fiel auf die Knie, «hast Lieb um Liebe mir und Gunst um Gunst gewährt. Das taten andre nie.»
    Sie wollte ihm schon eine böse Bemerkung über sein ewiges Possenreißen zurückgeben, als sie bemerkte, wie sein Blick plötzlich ernst wurde. Er ließ sie los und erhob sich.
    «Sag nichts. Ich weiß selbst, dass du nicht Julia bist und ich nicht dein Romeo. Ehe du mir also zuvorkommst, sag ich es lieber selbst: Es war Leidenschaft von dir, aber keine Liebe, und deshalb will ich dich nicht weiter bedrängen. Versprichst du mir trotzdem zwei Dinge?»
    Marthe-Marie sah ihn fragend an.
    «Versprichst du mir, dass wir Freunde bleiben und gute Compagnons? Und dass du unsere Nacht niemals vergisst?»
    Eine Welle der Erleichterung erfasste sie. Nun konnte sie sich die Worte, die sie seit Tagen auf der Zunge trug, sparen. Musste ihm nicht erklären, dass sie in ihm so etwas wie einen Bruder sah,einen väterlichen Freund, und dass sie selbst nicht wisse, was in jener Nacht in sie gefahren sei. Sie bejahte seine Frage, und dann umarmte sie ihn.
    An diesem Nachmittag spielte sie aufmerksam und konzentriert. Diego seinerseits ließ keine Zweideutigkeiten aufkommen. Sie war erleichtert, aber zugleich auch ein bisschen enttäuscht.

29
    Das Frühjahr verging rasch. Die ersten warmen Sommertage brachen an, doch sie lebten noch immer von der Hand in den Mund. Zwar hatten sie in der ehemaligen Residenzstadt Urach gastieren dürfen – zu Ostern auf dem großen Marktplatz, zum Maienfest in der erst jüngst erbauten Webervorstadt   –, doch brachte das gerade so viel ein, wie sie für ein neues Fuhrwerk ausgeben mussten. Denn beim Albaufstieg gleich hinter Reutlingen war die Achse von Diegos Wagen gebrochen, und sie konnten von Glück sagen, dass nichts Schlimmeres geschehen war: In einem dichten Waldstück, ausgerechnet an einer Stelle, wo es ein kurzes Stück steil bergab ging, hatte plötzlich ganz in der Nähe der Knall einer Büchse die Stille zerrissen, und Diegos Maultier war Hals über Kopf durchgegangen. Der Wagen kam ins Schlingern, Diego wurde herabgeschleudert, in der Senke schließlich stürzte das Gefährt krachend um und riss das Maultier mit zu Boden.
    Gott sei Dank hatte sich das Tier nichts gebrochen. Bei Diego war sich der Medicus nicht so sicher gewesen, er diagnostizierte eine verrenkte Schulter und einen Bruch des Unterarms – aus der Distanz allerdings, denn Diego ließ sich von Ambrosius nicht anrühren. Er legte sich selbst eine Schlinge um Arm und Hals, lehnte sich an einen Baumstamm und fiel in Ohnmacht. Erst als Marthe-Marieihm ein Fläschchen Essigwasser unter die Nase hielt, erwachte er und strahlte sie an. Das Fuhrwerk indes war nicht mehr zu retten, und so mussten sie die Requisiten auf Wohnwagen und Handkarren umladen. Auf diese Weise brauchten sie für den steilen Aufstieg drei Tage statt der veranschlagten zwei.
    Vielleicht lag es an ihrer Gereiztheit über dieses neuerliche Ärgernis, dass die Männer fast dankbar waren für einen weiteren Zwischenfall kurz vor Urach. Wie so häufig hatten sie eine Nebenstrecke gewählt, um Brückenzoll und Straßenmaut zu umgehen, und wie so häufig führte die Straße geradewegs durch einen kleinen Fluss. Meist lag an solchen Stellen für Fußgänger und Lastträger zumindest ein Balken oder gefällter Baum quer über dem Wasserlauf, doch hier, in der Wildnis der Alb, fand sich nicht einmal ein gespanntes Seil, das Halt geboten hätte. Lediglich ein schmaler Streifen Kies war als Furt aufgeschüttet. Fluchend trieben die Männer die Zugtiere durch das Flussbett, in dem hüfthoch das eiskalte Wasser strömte. Die Frauen und Kinder halfen Mettel, Salome und Ambrosius mit ihren überladenen Handkarren, die alle naselang stecken zu bleiben drohten.
    Auf dem gegenüberliegenden Steilufer erhob sich eine kleine Kapelle. Wie zweckmäßig, dachte Marthe-Marie, jeder, der hier ohne Schaden durchkommt, kann gleich Gott dafür danken. Da hörte sie eine Stimme einen leiernden Sermon herunterbeten, eine Stimme, die sie auf Anhieb erkannte: «Darum ziehet hin in Demut, auf dass ihr nicht an den Abgrund der Hölle geratet. Doch zuvor bewaffnet euch gegen die Anfeindungen des Bösen und kauft Segenssprüche, geweihte Kräuterbüschel und Lochsteine.»
    Sonntag und Diego warfen sich einen viel sagenden Blick zu. Sonntag nickte und wandte sich an die anderen. «Wir lassen die Wagen hier unten. Wer Lust auf etwas Kurzweil hat, soll mitkommen. Aber leise. Wir wollen ihn

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