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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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ich lieber fort.»
     
    Am nächsten Morgen wurden sie durch ungeduldiges Klopfen geweckt. Vor der Tür stand ein Fronbote und überbrachte ein amtliches Schreiben des Magistrats: Marthe-Marie Mangoltin aus Konstanz solle sich pünktlich heute zur dritten Stunde nach Mittag im Rathaus einfinden zur gütlichen Befragung höchst widriger Umstände und Bezichtigungen. Die Buchstaben begannen vor Marthe-Maries Augen zu tanzen, und sie ließ das Blatt zu Boden fallen.
    Mechtild packte sie am Arm. «Was ist das für ein Schreiben?»
    «Eine Vorladung. Irgendjemand hat mich beim Rat der Stadtwegen Hexerei und Schadenszauber angezeigt und ein Paket abgeben lassen mit einem blutigen Umhang. Ich muss unter Eid aussagen, ob es mein Umhang ist, und dich und den Knecht soll ich als Zeugen mitbringen. Und ich darf die Stadt nicht verlassen, bis die Vorgänge geklärt sind.» Sie betrachtete ihre Tochter, die auf den Dielen saß und die Vorladung vergnügt in Fetzen riss. «Diese Teufelsgestalt lebt also noch und will mich vernichten.»
    «Heilige Elisabeth, wie kommst du jetzt unerkannt aus der Stadt? Mit der Kleinen und deinem ganzen Gepäck fällst du doch jedem Torwächter sofort auf.»
    «Ich nehme nur das Nötigste mit. Ich verkleide mich als Bauersfrau und gehe mit Agnes zu Fuß, als ob ich auf die Felder wollte. Ich nehme Sense und Gabel mit und   –»
    Sie unterbrach sich, als Mechtild lautlos zu schluchzen begann.
    «Du wirst es niemals schaffen, zu Fuß, allein mit einem kleinen Kind.»
    Die Tränen liefen der alten Frau über das Gesicht. Mechtild hatte Recht, das war kein Ausweg. Marthe-Marie nahm sie in den Arm und strich ihr gedankenverloren über den Rücken. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Die Gaukler! Theres hatte ihr am Vorabend erzählt, dass die Komödianten heute weiterziehen mussten, obendrein nach Offenburg sogar, man hatte sie wohl bei der Vorstellung mit Steinen beworfen.
    «Bete für mich, Gevatterin, dass das, was ich vorhabe, gut geht. Ich bin bald wieder zurück.»
    Sie hastete in ihre Kammer, legte ihr bestes dunkles Batistkleid an, kämmte sich die Haare zu einem strengen Knoten und verbarg sie unter ihrer Witwenhaube, die sie zum Glück aufbewahrt hatte. Dann zog sie den Schleier vor das Gesicht und verließ das Haus durch den Hintereingang.
    Auf dem Münsterplatz war der Tross der Krämer und Spielleute mitten im Aufbruch. Die Wagen begannen sich in Reih und Gliedzu formieren, die Bühne der Komödianten vor dem Kaufhaus war fast abgebaut. Mit gerafftem Rock bahnte sich Marthe-Marie ihren Weg zur Bühne über das mit Abfall und Unrat übersäte Kopfsteinpflaster, mitten durch das Gewimmel aus streunenden Hunden, Kloakenfegern, barfüßigen Kindern und hin und her eilenden Gauklern.
    «Ihr Dummköpfe, ihr Trottel!»
    Marthe-Marie zuckte zusammen. Direkt neben ihr hatte ein dicker, untersetzter Mann in einem Kittel aus Grobleinen zu brüllen begonnen. «Zuerst den Himmel, hatte ich gesagt! Jetzt ist schon wieder ein Riss im Tuch.»
    Schnaufend wischte er sich den Schweiß von der Glatze, die von einem grauweißen Haarkranz umgeben war. Marthe-Marie erkannte ihn gleich: Es war der lamentierende Priester. Seinem Geschrei nach zu urteilen, musste er der Prinzipal sein, auch wenn er vom Äußeren her eher einem Almosenempfänger glich. Sie hob ihren Schleier vom Gesicht.
    «Verzeiht die Störung, seid Ihr Leonhard Sonntag?»
    «Ja. Und?»
    Freundlich klang die Antwort nicht gerade, aber die runden blauen Augen unter den buschigen Brauen hatten etwas Vertrauenerweckendes.
    «Ich habe gehört, Ihr zieht nach Offenburg weiter, und möchte Euch bitten, mich mitzunehmen.»
    Leonhard Sonntag musterte sie von oben bis unten.
    «Eine Bürgersfrau und Witwe, die mit den Gauklern ziehen möchte? Was für ein herrlicher Einfall! Könnt Ihr tanzen, singen, jonglieren? Seid Ihr Komödiantin? Könnt Ihr wahrsagen?»
    «Nein, nichts von alledem. Aber ich werde Euch selbstverständlich bezahlen, wenn Ihr mich mitfahren lasst.»
    «Wir sind keine Reisegesellschaft, die Frauen wie Euch durch die Lande kutschiert.»
    In diesem Moment näherten sich zwei mit Lanzen bewehrte Büttel. Unwillkürlich senkte Marthe-Marie den Kopf und trat einige Schritte zurück in den Schatten der Arkaden. Der Prinzipal wollte sich schon abwenden, da hielt ihn eine Frau am Arm zurück. Ihr dunkelrotes, widerborstiges Haar wurde über der Stirn von einem bunten Tuch zusammengehalten, an den Ohren glänzten große goldene

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