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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Weiler, der zwischen Hügeln voller weiß und zartrosa blühender Obstbäume eingebettet lag. Vom Wegesrand her dufteten die gelben Blütentrauben des Sauerdorns, über die Löwenzahnwiesen stolzierte ein Storch.
    «Ist es nicht herrlich hier?» Marusch strahlte.
    Als Marthe-Marie nicht antwortete, drückte sie ihr die Zügel in die Hand und verschwand unter der Plane. Kurz darauf ertönte eine zarte Melodie. Überrascht wandte sich Marthe-Marie um: Marusch erschien mit einer kleinen Flöte an den Lippen und stellte sich aufrecht und ohne zu schwanken neben sie auf den Kutschbock. Die Töne wurden schneller und fröhlicher, klangen wie Vogelgesang an einem Frühlingsmorgen.
    Sie setzte die Flöte ab und zwinkerte ihr zu. «Das war das Trällern der Feldlerchen, hast du es erkannt? Und jetzt der Lockruf der Stare.»
    Sie zauberte aus dem unscheinbaren Instrument einen Reigen kleiner Melodien, die Marthe-Marie an das Rauschen von Blättern im Wind, an sprudelnde Quellen und Bachläufe denken ließ, mal übermütig und voller Lebensfreude, mal lieblich und wehmütig zugleich. Dabei wiegte sich Marusch in den Hüften und ließ sich nicht von den Rinnen und Schlaglöchern stören, durch die ihr Wagen rumpelte. Eine Bauersfrau, die in ihrem Gemüsegarten arbeitete, legte die Hacke zur Seite und winkte ihnen zu. Marusch unterbrach ihr Spiel und winkte zurück.
    «Bitte, spiel weiter», bat Marthe-Marie.
    «Gern. Wenn du mir versprichst, für den Rest des Tages den Wagen zu lenken. Du gehörst zu uns, zumindest bis der liebe Gott dort oben sich einen anderen Plan für dich ausgedacht hat!»
    Marthe-Marie musste lachen.
    «Na also.» Marusch blies einen lauten Triller. «Und jetzt spiele ich dir das Lied vom Hirtenjungen und seinem Mädchen, die ihre erste Sommerliebe erleben.»
    Längst liefen sämtliche Kinder des Trosses neben ihrem Wagen her, die Kleinsten auf den Armen und Rücken der Größeren, dazwischen auch etliche fremde Kinder aus dem Weiler, und sahen bewundernd zu der Flötenspielerin auf. Einer Gallionsfigur gleich stand Marusch auf dem Kutschbock, die Augen geschlossen, ihre widerborstigen Locken über dem Stirnband schimmerten dunkelrot im Sonnenlicht.
    Gegen Mittag erreichten sie eine hübsche, mit Blumen geschmückte Kapelle, die den Apostelführern Petrus und Paulus geweiht war. Gleich dahinter stand ein weiß getünchtes Häuschen mit Schlagbaum und zwei Wachmännern davor.
    «Kruzitürken, jetzt schon Zöllner!» Marusch legte die Flöte zur Seite. «Gleich werden sich Diego und Leo wieder in die Haare geraten, pass auf.»
    Marthe-Marie hatte den Streit vom Vorabend noch in den Ohren, als sich die beiden nicht hatten einigen können, welcher Wegstrecke nach Freudenstadt der Vorzug zu geben war. Diego war für den bedeutend kürzeren Weg über Oberkirch das Renchtal hinauf, mit seinen berühmten Badeorten, doch der Prinzipal sprach sich vehement dagegen aus. «Willst du dich bei einer Badekur vergnügen oder Geld einnehmen?» – «Letzteres. Badeorte haben Gäste, Gäste haben Geld und wollen Abwechslung. Und genau das können wir ihnen bieten.» – «Das sind doch Spekulationen. Weißt du, wo das Geld sitzt? Im Kinzigtal mit seinem im ganzen Reich berühmten Holzhandel, seinen Silberminen und Glashütten. In Haslach und Wolfach fahren sie ihren Lohn in Schiebkarren durch die Gassen! Da ist was zu holen, und nicht bei irgendwelchen knickrigen Badegästen!» – «Wunderbar! Und alle paar Meilen schmeißen wir unsere Einkünfte den Zöllnern in den Rachen! Hast du vergessen, dass das Kinzigtal ein einziger Flickenteppich an Herrschaftsgebieten ist? Dass da alle paar Steinwürfe der Territorialherr wechselt? Was die Fürstenbergischen unddie Habsburger unsereins an Maut und Brückenzoll abpressen, das geht auf keine Kuhhaut. Im Renchtal dagegen ist ab Oberkirch alles Württembergisch, vielleicht ist das ja bis zu deinen Ohren noch nicht vorgedrungen. Rechtzeitig zur Gründung von Freudenstadt hat Herzog Friedrich nämlich einen Korridor nach Westen gezogen, quer durch den Schwarzwald zum Rhein hinunter.» – «Du immer mit deinem großgoscherten Herzog. Ich versteh sowieso nicht, warum du diesen Lutheraner so bewunderst, wo er dich fast in die Hölle befördert hat.» – «Was weißt du schon! Friedrich ist ein Visionär. Der hat als einziger im deutschen Land Ideale im Kopf: Er kämpft für die Freiheit der Religionen, für ein friedliches Nebeneinander aller Territorien, er ist eng befreundet mit

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