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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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zur Tür.
    «Wartet mal, junge Frau. Wen sucht Ihr denn im Zunfthaus?»
    Die Frage hatte nichts Bedrohliches, und so antwortete sie freimütig: «Einen Schlosser namens Benedikt Hofer.»
    Der Wirt legte die Stirn in Falten. «Benedikt Hofer? Nie gehört. Dabei hat die Schmiedezunft seit Jahren ihren Stammtisch bei mir. Vielleicht fragt Ihr mal den Zunftmeister persönlich.»
    «Recht vielen Dank und behüte Euch Gott!»
    «Nur werdet Ihr den Meister im Zunfthaus jetzt nicht finden. Bis zum Ave-Läuten ist er im Rathaus, er gehört nämlich zum Jungen Rat. Bleibt doch so lange hier mit dem Kind.»
    Sie schüttelte den Kopf. Womöglich würde der Wirt sie als Nächstes fragen, woher sie die blauen Flecken im Gesicht habe oder ob sie allein reise.
    Als sie wieder auf die Straße trat, begann Agnes zu maulen.
    «Lisbeth spielen!» Zornig stampfte sie mit dem Fuß auf.
    «Das geht jetzt nicht!» Marthe-Marie versprach ihr einen Weißweckenund fragte sich nach der Brotlaube durch. Hier am Fischmarkt war es angenehm schattig, auch wenn der Gestank von den Ständen kaum auszuhalten war. Die Händler räumten bereits ihre Schragentische zusammen, denn es ging auf Mittag zu, und es war bei hoher Strafe verboten, danach noch rohen Fisch zu verkaufen.
    Agnes kletterte auf den Rand eines Brunnens, kaute auf ihrem Wecken und betrachtete versonnen den steinernen Löwen mit dem aufgerissenen Maul, während Marthe-Marie ihren Gedanken nachhing. Sie, die als Mädchen niemanden und nichts gefürchtet hatte, wünschte sich plötzlich nichts sehnlicher als jemanden, der sie bei der Hand nehmen und alle Entscheidungen für sie treffen würde. Was hatte sie nur in diese Lage gebracht? Warum war sie plötzlich zur Beute eines Besessenen, zum Schützling eines ihr bislang völlig Unbekannten geworden? Und wieso wollte sie nun einem wildfremden Menschen offenbaren, sie sei seine Tochter und Agnes sein Enkelkind? Hatte sie selbst das entschieden oder waren es Fügungen, die Gott ihr auferlegt hatte? Sie wusste nur eines: Zurück zu Jonas und den Gauklern konnte sie nicht.
    Das Glockengeläut der Heiligkreuzkirche schreckte sie aus ihren Grübeleien. Rasch wusch sie Agnes’ Gesicht und Hände am Brunnen, strich ihr mit den Fingern durch das dichte Haar. Den dunklen Fleck am Saum des Kleidchens rieb sie, so gut es ging, mit Spucke und Wasser aus, dann machte sie sich auf den Weg ins Quartier der Schmiede und Schlosser.
    Ein Lehrbub führte sie in die weitläufige holzgetäfelte Diele des Zunfthauses. «Wartet bitte, Meister Stöcklin müsste jeden Augenblick hier sein.»
    Sie spürte, wie unter ihren Achseln der Schweiß stand, während sie wartete.
    Endlich traf der Zunftmeister ein, geführt von dem Lehrbuben, der mit einem kurzen Nicken in ihre Richtung wies und sie dann allein ließ. Stöcklin trug die schwarze, respektheischende Amtstrachtder Ratsherren: hüftlange Schaube, Barett und über der Weste schwere silberne Ketten.
    «Wilhelm Stöcklin, Zunftmeister der Schmiede», stellte er sich vor, ohne ihr die Hand zu reichen. «Was führt Euch zu mir?»
    «Ich suche einen Mann, der als junger Schlossergeselle einst von Freiburg hierher gekommen ist. Möglicherweise ist er jetzt Meister.»
    «Sein Name?»
    «Benedikt Hofer.»
    «Kenne ich nicht. Wann soll er nach Offenburg gekommen sein?»
    Stöcklin wirkte streng, seine Fragen hatten nichts von der freundlichen Neugier des Wirtes.
    «An die dreißig Jahre wird es wohl her sein.»
    Der Zunftmeister lachte trocken.
    «Das hättet Ihr gleich sagen können. Damals war ich keine zehn Jahre alt. Wahrscheinlich ist er bald weitergezogen, weil er hier kein Auskommen gefunden hat. Tut mir Leid, aber ich kann Euch nicht weiterhelfen.»
    Er deutete eine Verbeugung an und ließ sie stehen.
    Und nun? Wohin sollte sie sich wenden? Einen Fuhrmann ausfindig machen, der sie für ihre spärlichen Spargroschen nach Konstanz mitnehmen würde?
    Agnes riss an ihrer Hand. «Trinken.»
    Marthe-Marie sah sie an. Sie fühlte sich mutterseelenallein.
    «Gut, gehen wir noch einmal ins Gasthaus. Vielleicht hat ja der freundliche Wirt einen Becher Wasser für uns.»
    Der Sonnenwirt schien sich tatsächlich zu freuen über ihre Wiederkehr.
    «Da hat der Herrgott meine Bitte also erhört», lachte er und reichte ihnen einen Krug kalten Wassers. «Hattet Ihr Erfolg?»
    «Nein. Der Zunftmeister kennt keinen Benedikt Hofer.»
    «Dann ist es doppelt gut, dass Ihr nochmals gekommen seid. Da hinten sitzt der alte Semmelwein, er

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