Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
Vom Netzwerk:
alles wunderbar, mein Löwe. Warum runzelst du die Stirn?»
    «Weil noch etwas nachkommt. Mit Ausnahme der Krämer und Hausierer muss die gesamte Truppe Quartier im Gasthaus «Zum Goldenen Bärlein» nehmen. Und das wird uns einen schönen Batzen Geldes kosten. Ein geschäftstüchtiges Volk, diese Freudenstädter Ratsherren.»
    «Ach, sieh doch nicht gleich so schwarz. Auf solch einen Handel haben wir in großen Städten doch schon häufiger eingehen müssen, wieso sollte Freudenstadt da eine Ausnahme machen? Die Einnahmen werden strömen wie die Milch im Schlaraffenland, das werden wir verkraften. Kommt, schauen wir uns dieses Wirtshaus einmal an.»
    Der Gedanke, die nächsten Wochen in einem Gasthaus übernachten zu müssen, behagte Marthe-Marie wenig. Nicht nur, dass sie sich an das Leben im Freien gewöhnt hatte, das nun mit Anbruch des Sommers wirklich angenehm war. Nein, sie kannte von ihren vielen Reisen und Ortswechseln mehr Herbergen als ihr liebwar, und fast alle glichen sie sich, was Dreck und Gestank anbetraf: In den Schlafsälen – sofern es denn welche gab und nicht auf Strohlagern in der Wirtsstube geschlafen wurde – verpesteten volle Nachtgeschirre und nächtliche Fürze die Luft, störten Ungeziefer, Trinkgelage und ausufernde Unzucht seitens der sich stets einfindenden Hübschlerinnen oder heimlichen Ehegatten den Schlaf. Meist übernachtete das Viehzeug im selben Raum, waren die Wände und Fußböden voller Rotz- und Schleimspuren. Die Mahlzeiten hatte sie als schlecht und überteuert in Erinnerung, und niemals war man vor Diebstahl sicher.
    Doch bei David Dreher war alles anders. Er zeichnete sich durch eine für einen Wirt ungewöhnliche Maulfaulheit aus, dafür legte er großen Wert auf Ordnung. Das «Goldene Bärlein» befand sich in einem stattlichen Fachwerkbau und konnte sich nicht nur mit einem großen bewachten Stall brüsten, sondern auch mit zwei geräumigen Schlafsälen, die sich über der Schankstube befanden.
    Das Abendessen kam pünktlich beim dritten Angelusläuten auf den Tisch, Frauen und Männer schliefen in getrennten Sälen, jeder behielt für die Dauer seines Aufenthaltes den eigenen Strohsack. Der Dielenboden wurde jeden Morgen gekehrt, die Schlafstuben gelüftet und die Strohsäcke aufgeschüttelt.
    Nach ihrem Rundgang kehrten sie in die Schankstube zurück, wo die beiden Männer mit Dreher um die Preise feilschten. Alles in allem war Marthe-Marie angenehm überrascht, wie sauber und neu alles wirkte. Überall roch es nach Tünche und frischem Holz. Nur in einem Punkt unterschied sich das «Goldene Bärlein» in nichts von anderen Wirtshäusern: Auch hier pflegte man den beliebten Brauch des Zutrinkens. Dabei musste jeder so viel schlucken, wie der Tischführer mit einem vernehmlichen «Seid fröhlich, trinket aus!» vortrank. Kam ein Neuer hinzu, begrüßte jeder am Tisch ihn mit einem Becher, die er alle bis zur Neige leeren musste, bevor er zu ihrer Gesellschaft zugelassen wurde. Schonjetzt, zur helllichten Mittagsstunde, war die Gruppe der Bergleute, die sich um den größten Tisch versammelt hatte, auf dem besten Wege in die Volltrunkenheit.
    «Als dann!» Der Wirt hob die Hand, Sonntag schlug ein. Beide machten zufriedene Gesichter, und Dreher spendierte seinen neuen Gästen einen Krug Bier.
    «Mir fällt jetzt schon die Decke auf den Kopf», murmelte Diego. «Vier Wochen eingesperrt wie Schlachtvieh im Stall.»
    «Jammer nicht und trink aus.» Der Prinzipal schlug ihm auf die Schulter. «Wir müssen den anderen Bescheid geben.»
    Noch vor der nächsten Vorstellung am Nachmittag schafften sie ihre Habseligkeiten ins Gasthaus. Einzig Salome weigerte sich mitzukommen. In einem Haus, in dem jede Nacht andere Menschen schliefen, herrsche eine schlechte Aura, die Luft sei getränkt von bösen Gedanken, die sich für immer im Gehirn festsetzen könnten. Sie wolle sich anderswo einen Schlafplatz suchen.
    Marthe-Marie richtete gerade die Schlafstatt für sich und Agnes unterhalb eines Fensters, als Diego zu ihr trat.
    «Ich habe etwas für dich. Als Ausdruck meiner Freundschaft, sozusagen.» Er zwinkerte ihr zu. «Das heißt, eigentlich ist es für deine Kleine bestimmt.»
    Er holte hinter seinem Rücken einen Stecken mit Pferdekopf hervor. Es war ein kleines Kunstwerk, fein geschnitzt und naturgetreu bemalt.
    Marthe-Marie traten fast die Tränen in die Augen. Agnes besaß kein einziges Spielzeug. Sie spielte, wie die anderen Kinder auch, mit Hölzern und Weidenruten,

Weitere Kostenlose Bücher