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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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beim Rat der Stadt nicht viel auszurichten. Drei Tage und drei Nächte verbrachte Isabell im Luziferturm des Ihlinger Tors, dann wurde sie am Sonntagmorgen auf den Kirchplatz gebracht. Mit einem Strohkranz auf dem geschorenen Schädel musste sie vor dem Hauptportal stehen und Spott und Häme der Kirchgänger ertragen, sie wurde angespuckt und mit Dreck beworfen. Als die Spielleute an ihr vorbeigingen, senkte sie den Blick. Einmal nur hob sie den Kopf: Antonia stürzte weinend und mit ausgestreckten Armen auf sie zu, doch der Büttel, der Isabell am Strick hielt, stieß sie grob zurück.
    Nach dem Gottesdienst verließen die Gaukler die Kirche durch eine Seitenpforte, um nicht ein zweites Mal Zeuge dieses entwürdigenden Schauspiels werden zu müssen. Nur Leonhard Sonntag fehlte. Er traf erst Stunden später in der Herberge ein.
    «Auf Rutenschläge hat man verzichtet angesichts ihres Alters» berichtete er. «Aber sie wurde auf immer der Stadt verwiesen.»
    «Hast du mit ihr gesprochen?», fragte Marthe-Marie.
    Er lächelte traurig. «Ich bin den Bütteln heimlich gefolgt. Hinter der Neckarbrücke konnte ich sie einholen. Es tut ihr alles sehr Leid. Dann habe ich ihr die Geldbörse übergeben.»
    «Gott möge sie beschützen», murmelte Mettel.
    Der nächste Schrecken ließ nicht lange auf sich warten. Diesmal war es Salome, die Anfang des neuen Jahres gefangen genommen wurde. Mehrere Bürger hatten sie der Schwarzkunst bezichtigt. Auch sie lag drei Tage und drei Nächte im Luziferturm gefangen, und die Spielleute fürchteten bereits das Schlimmste, da in der Stadt das Gerücht ging, man habe etliche Indizien, um sie der Hexerei zu überführen, und bei den hiesigen Wagnern seien schon die Leitern für den Scheiterhaufen bestellt.
    Marthe-Marie war in diesen Tagen wie gelähmt vor Entsetzen. Sie sprach mit niemandem ein Wort, aß kaum noch, zog sich nach der Arbeit auf ihr Lager zurück und starrte die Wände an. Von draußen rüttelte und zerrte seit Tagen ein stürmischer Westwind an den Fensterläden. Immer wieder faltete sie die Hände zum Gebet. Irgendwann einmal war sie von ihrem Lager aufgestanden, wie aus einem schweren Traum, hatte Jonas’ Nachricht aus ihrer Geldbörse gezogen, das Fenster geöffnet und sie dem Sturm übergeben. Sie sah noch, wie das Papier durch das kahle Geäst der Buche wirbelte, dann war es im Dämmerlicht verschwunden. Es ist gut, dass du gegangen bist, dachte sie. Leb wohl, Jonas.
    Doch dann wurde Salome ins benachbarte Rottenburg gebracht, wo sie vor dem Hohenberger Statthalter und seinem Stab bei Gott und allen Heiligen schwören musste, niemals solch zweifelhaften Künsten nachgegangen zu sein und sich auch fürderhin nicht dafür herzugeben. Am selben Abend erschien sie in der Herberge.
    Sie lachte verschmitzt, als die anderen sie umarmten und das unermessliche Glück, das ihr beschieden war, feierten.
    «Habt ihr vergessen, dass ich eine schützende Hand über mir habe? Leider ist der Obervogt erst gestern Abend aus Innsbruck zurückgekehrt, und so waren es doch drei grausig kalte Nächte auf stinkendem Stroh. Dafür hat er mich für morgen früh auf seine Veste eingeladen.»
    Diego schüttelte den Kopf. «Du hast wahrhaftig mehr Glück als Verstand.»
    «Trotz allem müssen wir jetzt aufpassen wie die Haftelmacher.» Sonntag sah mit ernstem Blick in die Runde. «Die Bürger hier lassen uns künftig nicht aus dem Auge, das muss euch klar sein. Und Salome mag vielleicht unter der Protektion dieses hohen Herrn stehen – wir nicht.»
    Tatsächlich wurden die Dienste der Spielleute immer häufiger zurückgewiesen, als hätten die Zünftigen der Stadt sich gegen sie verbündet, und die Männer konnten froh sein, wenn sie als Knochensammler oder Karrenschieber, beim Abdecker oder Flecksieder ihr Brot verdienen durften. Nur die schmutzigste und körperlich schwerste Arbeit überließ man ihnen, und Diego und Maximus schreckten schließlich nicht einmal mehr davor zurück, als «Goldgräber» die städtischen Abortgruben auszuheben. So stanken sie gottserbärmlich nach Jauche und faulen Eiern, wenn sie halb in der Nacht von den Kloaken zurückkehrten.
    Nur die Hoffnung auf das kommende Frühjahr und die Aussicht, dann wieder mit Pferd und Wagen über die Landstraßen zu ziehen und womöglich gutes Geld am Stuttgarter Hof zu verdienen, hielt sie aufrecht. Doch angesichts des nur spärlich gefüllten Geldsäckels, das der Prinzipal unter Verschluss hielt, schien es Marthe-Marie mehr als

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