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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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erwacht. Panik hatte sie erfüllt: Wenn das nun ein Omen war? Aber Marusch hatte sie beruhigt. «Es war nicht der wirkliche Jonas, es war der Jonas in deinem Herzen, der im Traum zu dir gesprochen hat.»
    «Wie meinst du das?»
    «Das musst du selbst herausfinden. Vielleicht vermisst du ihn. Oder du machst dir Vorwürfe.»
    Marthe-Marie sah hinüber zu Marusch, die auf dem Kutschbock neben ihr eingenickt war. Nein, sie wollte sich weder Vorwürfe machen noch an vergangenen Zeiten hängen. Jonas und sie trennten Welten und Ewigkeiten. Sie gehörte hierher auf die Landstraße, auf den Kutschbock eines holpernden Wagens, Wind und Sonne ausgesetzt und einem Schicksal, das sich von niemandem in die Karten sehen ließ.
    Eine Stunde später stießen sie auf den Neckar. Die Fahrstraße führte etwas oberhalb des engen Flusslaufs durch schattige Uferwälder. Bis Rottenburg würden sie es nicht mehr schaffen, und als die Landschaft offener und weitläufiger wurde, suchten sie sich einen Rastplatz. Kurz darauf formierten sich die Wagen und Karren im Kreis; in der Abendsonne warfen sie lange Schatten über die Wiese. Die Kinder schwärmten aus, um Holz zu suchen, die Männertränkten die Tiere, die Frauen kümmerten sich um Feuerstellen und Wasser zum Kochen. Jeder Handgriff, jeder Arbeitsgang war abgestimmt. Als ob es niemals eine Unterbrechung gegeben hätte.
    Und doch – so leicht ließ sich die Last der letzten Monate nicht abschütteln. Die Gesichter der Spielleute waren ernst. Vielleicht lag es daran, dass zwei von ihnen fehlten: Pantaleon mit seinen Affen und dem Kamel hinterließ eine spürbare Lücke, und selbst wenn keiner von ihnen, von Antonia einmal abgesehen, Isabell nachtrauerte, so hatte auch sie ihren festen Platz in der Truppe gehabt.
    Beim Abendessen besprachen sie ihre weiteren Planungen. Das Marienfest der Verkündigung des Herrn und der Wiedergeburt des Lichtes stand kurz bevor, und in ländlichen Gegenden wie dieser verband man diesen Tag mit dem ersten großen Frühlingsfest. Marthe-Marie erinnerte sich an ihre Kindheit, wie sie und ihre Geschwister ab Mariä Verkündigung auf der Lauer lagen, um als Erstes die heimkehrenden Frühlingsboten Storch und Schwalbe zu entdecken. Ihr Hausmädchen Gritli trug von diesem Tag an eine Münze in ihrer Rocktasche, denn wer zum ersten Mal im Jahr einen Storch sah und kein Geld dabei hatte, dem würde es das ganze Jahr an Geld fehlen. Gritli war es auch, die alle Fenster und Dachluken öffnete, sobald sich die erste Schwalbe sehen ließ, denn wo sie nistete, schützte sie vor Blitzschlag.
    In Rottenburg, das wie Horb der schwäbisch-österreichischen Grafschaft Hohenberg unterstand, jedoch mit seinen Ackerbürgern und Weinbauern einen sehr viel ländlicheren Charakter hatte, würde in zwei Tagen ein großes Volksfest mit Jahrmarkt, Tanz und Musik stattfinden.
    «Liebe Salome», wandte sich der Prinzipal zum Ende der Besprechung an die Wahrsagerin. Verlegen trat er von einem Bein aufs andere. «Wir alle hier wissen, dass wir ohne dich immer noch inHorb eingesperrt wären wie Vieh in einem engen Stall. Dass ohne deine Protektion heute nicht Wind und frische Luft um unsere Nasen wehen würden. Dennoch – ich meine hier in Rottenburg – übermorgen also   –» Er brach ab und sah hilflos zu Marusch.
    «Spar dir deine großen Worte, Sonntag.» Salome stieß ein Lachen aus, das dem Meckern einer Ziege glich. «Ich weiß selbst, was ich zu tun habe. Da ich erst unlängst an Stricken in diese Stadt geschleift wurde, werde ich sie freiwillig so schnell nicht wieder betreten, keine Sorge. Und ich werde mich von der Truppe fern halten, werde keinen von euch kennen, solange ihr in Rottenburg spielt. Schließlich will ich euch kein Unglück bringen. Vorausgesetzt», sie zog ein Blatt unter ihren Röcken hervor, «ihr wollt in Rottenburg überhaupt um Konzession bitten. Ich kann zwar kaum lesen, aber dass auf diesem Flugblatt keine Maienlieder abgedruckt sind, erkenne selbst ich.»
    Marthe-Marie warf einen neugierigen Blick auf das Papier. ERSCHRECKLICHE NEUE ZEITUNG stand in riesigen Lettern zuoberst, und kleiner darunter:
Von den gottlosen Unholden und Teufels Weibern, die zu Rottenburg im Hohenbergischen den 2.   Augusti vergangenen Jahres ein schrecklich Hagel und Wetter über den Wein gebracht und alles zerstörten und noch fürderhin mit ihren Gespielen ihr Unwesen treiben, so geschehen mit dem Feuer im Weinberg zum 10. des Märzen dieses Jahres
. Dann wurde die Schrift

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