Die Tochter der Hexe
Töpfe und Pfannen, dann wiederholte er in monotonem Singsang sein Sprüchlein: «Guot ond billig! Häfe, Töpf, Pottschamberle!»
«Hast du es jetzt gehört? Pottschamberle!» Diego riss theatralischdie Arme empor und rief das seltsame Wort so laut, dass die Marktgänger stehen blieben und ihn verdutzt anstarrten.
«Pottschamberle, Kellerettle – verstehst du, Marthe-Marie? Ich bin zu Hause angekommen.»
«Ehrlich gesagt verstehe ich kein Wort.»
Sie hatten eben den Schlagbaum des Herzogtums Württemberg passiert und machten Rast auf diesem hübschen, baumbestandenen Dorfplatz, wo Krempler und Trödler, Hausierer und Kraxenträger aus der Umgebung ihre Waren anpriesen. Schon der Anblick der drei übereinander liegenden Hirschstangen auf gelbem Grund, die in frischer Farbe auf dem Zollhäuschen prangten, hatte Diego in Verzückung versetzt. Es war früher Nachmittag. Nur ein paar Meilen und wenige Stunden trennten sie von jenem Wäldchen, in dem Marthe-Marie mit den anderen Frauen und den Kindern voller Bangen auf die Männer gewartet hatten. Erst nach einer Ewigkeit, so schien es jedenfalls, waren sie auf dem Waldweg aufgetaucht: Müde, verdreckt, voller Schrammen. Doch in ihren Augen hatte der Triumph geblitzt.
«Diese Abreibung werden die Dörfler niemals vergessen.» Zufrieden klopfte Sonntag sich den Staub von der Weste.
«Nur haben wir den Richtigen erst gar nicht erwischt», sagte Diego grimmig. «Dieser bigotte Wanderpfaffe war plötzlich spurlos verschwunden. Dem hätte ich gern die Hölle heiß gemacht.»
Marusch sah die Männer missbilligend an. «Ich glaube fast, euch hat die Prügelei Spaß gemacht. Wie Gassenbuben kommt ihr mir vor. Was, wenn diese Leute uns jetzt verfolgen oder auflauern?»
«Sakra, was kannst du undankbar sein.» Sonntag verdrehte die Augen. «Da verteidigt man unter Gefahr seines Lebens Frau und Kind und wird dafür auch noch angeblafft.»
Er wandte sich den anderen zu.
«Der Sicherheit unserer Frauen und Kinder zuliebe feiern wirunseren Sieg erst heute Abend. Beeilen wir uns also, über die württembergische Grenze zu kommen.»
Nun standen sie hier, in diesem Marktflecken kurz vorTübingen, der zweiten Residenz nach Stuttgart und Grablege der Württemberger Herzöge. Diego war von einer freudigen Unruhe gepackt, die Marthe-Marie kaum nachvollziehen konnte. Zwar wusste inzwischen jeder von seiner Hochachtung für den Württemberger Herzog, andererseits betonte er doch ein ums andere Mal, er sei ein heimatloser Vagant. Da klang ein Satz wie ‹Ich bin zu Hause angekommen› recht unglaubwürdig.
«Du schaust mich an, als sei ich eines von Leonhards Fabelwesen aus Afrika.» Er legte ihr den Arm um die Schulter. «Also, gib Acht: Hier, rund um Tübingen und Stuttgart, ist das Kernland der Schwaben, hier gibt es Ausdrücke, die hörst du nirgendwo sonst auf der Welt. Weil sie nämlich eine Verschmelzung zweier Sprachen sind, die grundverschiedener nicht sein könnten: des Deutschen mit dem Französischen. Nimm zum Beispiel Pottschamberle. Das bedeutet Nachttopf und kommt von ‹pot de chambre›. Du nimmst also einen französischen Ausdruck, sprichst ihn schwäbisch aus und hängst ein ‹le› dahinter – ist das nicht einzigartig?»
Marthe-Marie lachte laut auf, und Diego zog die Augenbrauen in die Höhe. «Lach du nur. Du denkst, ich bin ein rührseliger alter Mann, von seinen Erinnerungen überwältigt. Vielleicht bin ich das ja auch. Aber es ist mehr. Für mich ist dieses Pottschamberle ein Zeichen für die Weltoffenheit der Württemberger Herzöge.» Er ließ sie los, um seine Worte besser mit Gesten unterstreichen zu können, und Marthe-Marie nutzte die Gelegenheit, um sich auf den Rand des Dorfbrunnens zu setzen. Erfahrungsgemäß dauerten Diegos Ausführungen recht lange.
«Unser Heiliges Römisches Reich krankt nicht nur an seiner Zerrissenheit, sondern an der Kleingeisterei und Eigensucht seiner Territorialherren, die ihr Land – und ist es noch so winzig – miteigenen Verordnungen, Maßen, Münzen, Regeln und Zöllen überfluten und überschütten und dabei die Untertanen auspressen wie die Mostäpfel. Jeder von diesen Herren, noch der geringste, glaubt, die Sonne, besser gesagt: die Erde zu sein, um die alle anderen kreisen müssen. Allein der Württemberger Friedrich, wie bereits seine Vorgänger, ragt als strahlende Ausnahme aus diesem Mittelmaß hervor. So pflegen die Württemberger seit zweihundert Jahren schon, seit Henriette von Mömpelgard, eine enge
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