Die Tochter der Ketzerin
gebracht.« Wir lagen da und blickten sie an, als sei sie ein Eindringling in ihrem eigenen Haus.
»Das war sehr ungezogen von dir. Gott steh uns bei.« Die Tante kniete sich neben das Bett und sprach ein stilles Gebet. Ich sah Margaret an, doch sie nickte nur lächelnd, und da glaubte ich fest daran, dass Tante und Onkel mich liebgewinnen würden.
Von diesem Moment an verging keine Stunde, in der ich meine nun erfüllten Tage nicht mit dem öden Leben bei meiner eigenen Familie verglich. Während meine Eltern abweisend und streng waren, gingen die von Margaret großzügig mit Lob und Zuwendung um. Während meine Eltern sich düster anschwiegen, unterhielten sich die von Margaret angeregt und lachten sogar. Obwohl meine Cousine mich manchmal verspottete, wenn ich mich ungeschickt anstellte oder etwas nicht wusste, war ich überzeugt, dass das nur meinen Verstand schulte, so als riebe man eine Kupfermünze mit einem groben Tuch blitzblank. In Margarets Gegenwart fühlte ich mich wie im Inneren einer Laterne, deren Glas die Wärme speicherte und die stechenden Insekten aussperrte. Und so weigerte ich mich, es für merkwürdig zu halten, dass sie manchmal zu den Baumwipfeln hinaufschaute, in die leere Luft nickte und »Ja, das werde ich« sagte. Hin und wieder grub sie auch kleine Löcher in den Schnee, presste das Ohr an den Boden und lauschte einer Musik, die nur sie hören konnte. Ich fand es deshalb nicht seltsam, weil sie so reizend war und mich zur Freundin haben wollte. Und außerdem war sie mein.
Einmal, ich war gerade fünf Jahre alt, hatte meine Mutter so viele Kürbisse geerntet, dass wir keine Möglichkeit hatten, sie einzulagern, damit sie nicht schlecht wurden. Deshalb schnitten wir die Früchte in duftende kleine Stücke, salzten sie und verfütterten sie an unsere Kuh. Tagelang waren die Milch, die sie gab, und auch der Rahm gelborange und schmeckten, als hätte jemand Honig in die Melkeimer gegossen. So ähnlich empfand ich die Stimmung in der Familie meiner Cousine. Ihre süßen und salzigen Gemüter mischten sich mit meinem eigenen, sodass ich bald Argwohn und Halsstarrigkeit ablegte.
Meine Cousine und ich taten alles gemeinsam. Wenn einer von uns eine Arbeit aufgetragen wurde, fand die andere Mittel und Wege, sich ihr anzuschließen. »Ach, da kommen meine Zwillinge!«, rief der Onkel deshalb öfter spaßeshalber aus. Dann sahen Margaret und ich einander an und lachten. Sie hatte schwarzes Haar und eine Haut wie Sahne, ich flammend rotes und Sommersprossen im Gesicht. Der einzige Tag, an dem wir uns - wachend oder schlafend - trennen mussten, war der Sabbat, wenn der Onkel mit seiner Familie ins Versammlungshaus ging. Hannah und ich durften nicht mit, da man von uns ja verlangte, dass wir in Andover blieben und an den Pocken starben. Und so warteten meine Schwester und ich gelangweilt im Haus und hielten aufgeregt Ausschau, bis die Toothakers wieder zu uns zurückkehrten.
In jenem Winter schneite es viel, sodass Haus und Scheune oft innerhalb weniger Stunden unter Verwehungen begraben wurden. Jeden Morgen vor Sonnenaufgang mussten wir mit Schaufeln, Schüsseln oder bloßen Händen einen Weg zur Scheune freiräumen. Nachdem das erledigt war, gingen Margaret und ich Hand in Hand zu dem Bach, der direkt neben dem Haus verlief, um Wasser zu holen. Am Ufer lag der Schnee taillenhoch, und wenn wir hinfielen, waren wir nass bis auf die Haut. Wir mussten Löcher ins Eis schlagen, um unsere Eimer füllen zu können, und bald hatte ich davon Blasen an den Händen. Ganz gleich, wie sehr wir uns auch abmühten und wie groß wir das Loch auch machten, am nächsten Tag war der Bach unweigerlich wieder zugefroren. Margaret trug immer Fäustlinge, um ihre Hände zu schonen, weshalb ich mich schämte, meine schwielige Hand in ihre glatte zu legen. Wenn ich meine Hände betrachtete, waren mir die verhornten Stellen und die rissige, blutige Haut rings um die Fingerknöchel unangenehm. Doch Margaret küsste nacheinander jeden meiner Fingernägel, streifte mir ihre Fäustlinge über, bis ich wieder Gefühl in den Händen bekam, und verkündete in einem merkwürdigen Singsangton: »Jetzt bin ich du, und du bist ich, und ich bin wieder du.«
Das Bachwasser zu trinken, war, als bisse man in ein Stück Metall, das lange im Schnee vergraben gewesen war. Wenn wir zu schnell tranken, bekamen wir Schmerzen im Hinterkopf. Nachdem wir das Wasser zum Haus gebracht hatten, führten wir mit Andrews Hilfe ein Tier nach dem
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