Die Tochter der Ketzerin
unsere Handarbeit beugten, raunten wir einander Geheimnisse zu, fast ohne dabei die Lippen zu bewegen. Dabei hielten wir uns für sehr schlau und glaubten, dass uns niemand auf die Schliche kommen würde. Doch eines Tages überraschte mich die Tante mit den Worten: »Wie oft haben deine Mutter und ich als Mädchen genauso dagesessen wie du und Margaret heute. Wir haben über unsere Hoffnungen und Träume gesprochen …« Unwirsch zerrte sie an dem verknoteten Faden, der in einem von Andrews Hemden hängen geblieben war, und lächelte.
»Meine Schwester konnte einen Knoten von der Größe einer Rosine entwirren, und zwar mit mehr Geduld, als ich es je bei jemandem erlebt habe.« Im ersten Moment fragte ich mich, wen sie bloß meinen mochte, denn schließlich wusste ich, dass sie nur eine Schwester hatte, und zwar meine Mutter. Jedoch erschien es mir unvorstellbar, dass jene langmütige Näherin und die Frau, die im Hinterkopf Augen hatte und jede meiner Missetaten schon auf zweihundert Schritt Entfernung sah, ein und dieselbe Person sein sollten.
»Warum besuchst du uns eigentlich nie, Tante?«, platzte ich heraus, ohne nachzudenken. Ihr Lächeln verflog, und Margaret trat mich auf den Fuß, um mich zum Schweigen zu bringen. Die Tante rief Andrew, der, in eine Decke gehüllt, zitternd am Feuer gewartet hatte, bis er sein geflicktes Hemd wieder anziehen konnte. Während sie ihm das Kleidungsstück über den Kopf streifte, meinte sie leise: »Dazu sage ich nur, dass das Zerwürfnis nicht zwischen mir und deiner Mutter besteht. Ich habe sie sehr gern und würde sie öfter sehen, wenn ich könnte.«
Als es Abend wurde, folgte ich Andrew hinaus in die Scheune und erkundigte mich, was unsere Familien entzweit hatte. Er verschränkte die Arme und schnaubte verächtlich. »Dein Vater ist überzeugt, mein Vater hätte ihn um ein Stück Land betrogen. Aber das ist eine Lüge, und ich werde jeden niederschlagen, der das Gegenteil behauptet.« So sehr mir der strenge und abweisende Erziehungsstil meines Vaters auch zu schaffen machte, traute ich ihm keine Unehrlichkeit zu. Allerdings blieb Andrew mir die Erklärung schuldig. »Was hat das mit der Tante und meiner Mutter zu tun?«, hakte ich kopfschüttelnd nach.
»Eine Frau hat die Pflicht, ihrem Mann in allen Dingen zu gehorchen«, entgegnete Andrew herablassend. Obwohl diese Worte mit dem Brustton der Überzeugung ausgesprochen wurden, wusste ich, dass er nur eine aufgeschnappte Lebensweisheit nachplapperte. »Meine Mutter tut das, was ihr Mann will, ganz im Gegensatz zu deiner Mutter, weshalb sie ein aufsässiges Frauenzimmer …« Er war vermutlich mindestens so erschrocken wie ich, als ich ihn rückwärts in den Stall schubste. Andrew war zwar nicht sehr kräftig, aber recht drahtig und einen Kopf größer als ich. Was ich über meine Familie dachte, war meine Sache und gab meinem Cousin noch lange nicht das Recht, über sie herzuziehen. Ich ließ ihn, verdutzt und laut fluchend, zurück. Als er später zum Abendessen hereinkam, gab ich heimlich Hühnerkot in seinen Eintopf.
Margaret und ich tauschten Gerüchte aus, sooft wir konnten. Wenn die Tante uns dabei erwischte, erinnerte sie uns in gütigem Ton daran, dass Lästern eine Sünde sei. Also mussten wir uns vorsehen. Da Margaret zwei Jahre älter und welterfahrener war als ich, hatte sie die spannenderen Geschichten zu erzählen und kannte offenbar viele schmutzige Geheimnisse unserer Nachbarn. Doch noch mehr fesselte mich ihr Wissen über die Welt der Magie. Margaret besaß die Fähigkeit, eine Hexe an den Malen an ihrem Körper zu erkennen. Ein Hexenmal könne in Form einer Warze oder Hautpustel auftreten. Außerdem sei eine Hexe außerstande, das ganze Vaterunser aufzusagen, ohne dabei ins Stocken zu geraten. Wenn man eine Hexe ins Wasser stieße, ging sie nicht etwa unter, sondern triebe auf der Oberfläche, so als wiese die Flüssigkeit die Verschmutzung zurück. Da ich wie ein Amboss versunken wäre, wenn man mich ins Meer geworfen hätte, zweifelte ich keinen Moment an der Weisheit ihrer Worte. Auf meine Frage, woher sie das alles wisse, erwiderte sie, ihr Vater sei Wissenschaftler und habe es ihr erklärt, denn wo es Frauen gebe, gebe es auch Hexen.
»Außerdem«, fügte sie hinzu und blickte in die immer länger werdenden Nachmittagsschatten, »habe ich gespürt, wie sie über das Dach geflogen sind, wenn das Eisenkraut bei Vollmond wächst.«
Als ich mich erkundigte, ob heute in Billerica noch Hexen
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