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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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wirklich ein Wunder, wie leicht es gewesen war, sie loszuwerden. Als Warnung für die anderen Stämme spießten wir ihre Köpfe auf Stangen und rammten diese in den Boden.« Kurz hielt er inne, um einen Fidibus in den Ofen zu stecken und seine Pfeife anzuzünden. Als er ausatmete, rann Rauch aus seiner Nase die Wangen hinab wie Tränen. Er schlug einen verschwörerischen Tonfall an.
    »Ein gewisser Captain Gardner war in der Schlacht tödlich am Kopf und in der Brust getroffen worden und wollte sich von keinem anderen Arzt als mir helfen lassen. Das Blut floss ihm in Strömen vom Gesicht, das sich von seinem Schädel abgelöst hatte wie eine weichgekochte Kastanie. Ich hob ihn hoch und rief seinen Namen. Captain Gardner, Captain Gardner, können Sie mich hören? Er blickte mich an, und während das Leben aus ihm entwich, dankte er mir für meine Dienste. Er starb in meinen Armen. Wir brachten ihn zurück nach Boston, wo er mit militärischen Ehren beigesetzt wurde.«
    Schweigend saßen wir da und beobachteten, wie der Feuerschein tanzende Bilder des Massakers im Schnee auf weißes Birkenholz zeichnete. »Vater, zeig uns die Narbe aus der Schlacht«, sagte Andrew. Die Tante verzog zwar missbilligend das Gesicht, doch der Onkel öffnete bereitwillig Weste und Hemd und präsentierte uns eine hässliche Narbe, die quer über seine Brust verlief, dicht unter der linken Brustwarze begann und bis zum Unterleib reichte. Während er seine Pfeife ausklopfte, fügte er abschließend hinzu: »Erst vor einem Jahr, während der kältesten Wintermonate, wurde die Gegend zwischen Schenectady, Salmon Falls und Falmouth von den Franzosen und den Indianern überfallen. Hunderte kamen ums Leben. Gefangene wurden gemacht. Die Angreifer schlitzten schwangere Frauen auf und zerschmetterten die Kinder an einem Felsen. Die meisten Menschen glauben, dass der Winter die Indianer am Vagabundieren hindert« - bei diesen Worten sah er mich an -, »doch auch Schnee und Eis können sie nicht davon abhalten, bei uns vor der Tür zu stehen.« Plötzlich stieß die Tante einen Schrei aus. »Genug!«, rief sie, und ihr Kinn zitterte, als sie loslief, um die Tür zu verriegeln. Ihr Blick zeugte von den Tagen und Nächten, die sie in Angst verbracht hatte, auch die Toothaker-Farm könnte überfallen werden.
    In jener Nacht lag ich wach und starrte in den dunklen Raum hinein. Jedes Geräusch, jeder Schatten wurde zum grausigen Schreckgespenst. Ich zog Hannah an mich wie einen Schutzschild, während mir die Kopfhaut prickelte, bis ich glaubte, sie würde mir vom Schädel kriechen wie eine verwilderte Katze. Als ich nach vielen Stunden endlich einschlief, kamen die Träume. Ich sah die schauerlichen, fratzenartig bemalten Gesichter von Indianern, die in das Haus meiner Großmutter eindrangen. Sie waren mit überlangen, scharfen Schlachtermessern bewaffnet und wollten meine Familie holen, ohne dass ich sie hätte warnen können, denn mein Körper war viele Kilometer weit entfernt. So musste ich zusehen, wie sie sich ums Bett meines Bruders Andrew scharten und ihm das Laken wegzogen. Er lag reglos da. Seine hellblauen Augen schwammen in einer blutigen Masse, die einmal sein Gesicht gewesen war. Man hatte ihn so säuberlich gehäutet wie ein Schwein bei der Herbstschlachtung. Als ich die Augen aufschlug, kniete Margaret neben mir. Ihre Miene war ernst, und sie starrte mich entgeistert an. Ich brach in Tränen aus. Da beugte sie sich zu mir vor. »Komm und schlaf bei mir«, flüsterte sie. Gemeinsam trugen wir Hannah ins Zimmer meiner Cousine und krochen in Margarets Bett. Sie hielt meine Hände und pustete ihren warmen feuchten Atem auf meine Finger. Ihr Atem roch süß wie Haferbrei mit Süßholzsirup. Ihre Lippen kräuselten sich wissend, und ihre Augen waren schläfrige Schlitze. »Niemand kann Geschichten erzählen wie Vater. Er webt sie aus Luft. Aber ich kenne auch viele Geschichten, Sarah.«
    Im Dämmerlicht konnte ich sehen, wie zart sie war und was für eine weiße, glatte Haut sie hatte, während sie mit leiser, merkwürdig heiserer Stimme irgendwelches wirre Zeug redete. Dann legte sie den Arm fester um meine Schulter und zog meinen Kopf an ihren Hals wie einen Metallklumpen an einen polierten Edelstein. Eng aneinandergekuschelt schliefen wir drei ein. Margaret hatte meine Finger umklammert. Wir wachten davon auf, dass sich meine Tante erschrocken über uns beugte. »Was hast du getan, Margaret?«, rief sie entsetzt. »Du hast dich in große Gefahr

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